Buchtipp – Henschel: Kindheitsroman

Die Autokiste war ja ok, nur fehlte ihr das Lenkrad. An sein Dreirad wird sich Martin Schlosser hingegen wohl ein Leben lang erinnern – immerhin hat seine Mutter ihn (samt Bruder) auf dem fahrbaren Untersatz fotografiert.

Gerhard Henschel beschreibt am Beispiel von Martin Schlosser die Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1964 bis 1975. Ein Jahrzehnt (Mathematiker mögen die Ungenauigkeit verzeihen), das ohne Mobilität nicht denkbar ist. Haben Autokiste und Dreirad altersbedingt ihre Faszination verloren, rückt die Familienkutsche in den Mittelpunkt des Interesses. Das ist, wen wundert’s, ein VW Käfer. Die Familien entdecken das Vergnügen namens Reise, zum Beispiel nach Dänemark.

Wer, wie ich, auch nur einen Teil dieser Zeit noch erinnert, wird nach der Lektüre völlig verblüfft sein. Was gab es nicht alles, und wie viel davon geriet irgendwann in Vergessenheit? Lurchi zum Beispiel, Raimund Harmstorf als „Seewolf“ (das Ding mit der Kartoffel sah so einfach aus…), Percy Stuart, T. Rex (Kurzform für „akustischer Elternschreck“) und … und … und …

Und wer das alles nicht erlebt hat und allenfalls einen Teil davon vom Hörensagen kennt, wird nach der Lektüre feststellen: Auch im digitalen Alter ist manches, was neu scheint, tatsächlich nur die Weiterentwicklung von etwas, das schon mal da war …

Geschichte, auch die jüngere, kann furchtbar trocken sein. Oder furchtbar spannend – wenn jemand wie Gerhard Henschel darüber schreibt.

Gerhard Henschel: Kindheitsroman. Hoffmann und Campe Verlag; 14 Euro.

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