Und ewig lockt die Lust an mehr Leistung. Wenn heute das PS-Wettrüsten sogar die kleinsten Klassen erreicht hat und sich scheinbar harmlose europäische Limousinen mit immer neuen Powerwerten weit jenseits der 500-PS-Marke gegenseitig übertreffen, ist dies die jüngste Spielart eines Kräftemessens, das vor einem halben Jahrhundert bei den damaligen amerikanischen „Big Four“ General Motors (GM), Ford, Chrysler und American Motors (AMC) begonnen hatte. Damals war die Welt in den USA noch in Ordnung – mit grenzenlosem Optimismus, florierender Wirtschaft und dem Streben nach immer neuen Rekorden und Bestwerten im Zeichen des Sternenbanners.
Unter dem jugendlich wirkenden Präsidenten John F. Kennedy herrschte Aufbruchstimmung, wovon auch der Aufbau des dichten Autobahnnetzes kündete. Für Amerikas erste Nachkriegsgeneration, die sogenannten Baby-Boomer, waren dies Signale, sich auf der Straße von den biederen Boulevard-Cruisern der Eltern loszusagen und mit muskelbepackten Mittelklasse-Coupés politisch unkorrekte Bestzeiten beim Sprintderby zwischen zwei Ampelkreuzungen in den Asphalt oder beim beliebten Drag-Racing auf der Quarter Mile (= 402 Meter) in den Beton zu brennen. Nicht einmal europäische Supersportwagen sollten gegen die neuen Boliden aus Detroit eine Chance haben. Davon kündete bereits der Name des 1963 vorgestellten Pontiac GTO als Ahnherr und Auslöser der Suche nach PS und Drehmoment.
Standen doch die Buchstaben GTO für „Gran Turismo Omologato“, also ein Homologationsmodell für Rennserien, vor allem aber wollte Pontiac mit seinem GTO zumindest eine gefühlsmäßige Verbindung zur Vmax-Ikone Ferrari 250 GTO kreieren. Seit Mitte der 1950er wurde Pontiac konsequent zur einer Sportmarke umgebaut, die mit Modellen wie Le Mans und Grand Prix schon im Namen für Tempo stand. Zum ersten relativ erschwinglichen Kult-Car der Baby-Boomer wurde aber der GTO mit bis zu 256 kW/348 PS starkem V8, dem es tatsächlich gelang, das gleichnamige Vorbild von Ferrari im Viertelmeilen-Sprint zu schlagen. Mit scheinbar rot glühenden Streifen auf den Reifen warnte das Mittelklasse-Coupé alle Rennrivalen vor dem Feuer aus der Vierfach-Vergaseranlage. Fast 600 Newtonmeter Drehmoment genügten für Gummi-Signaturen im Asphalt und die Pole Position unter den amerikanischen Performance-Cars. Daran konnten weder Chryslers sofortiger Konterversuch mit dem kompakten Sport Fury und 7,0-Liter-Hemi-V8, noch der 1964 vorgestellte Ford Mustang etwas ändern. Zwar schrieb der Mustang Geschichte als erstes Pony Car und bis dahin erfolgreichstes amerikanisches Sportcoupé aller Zeiten, es fehlte ihm jedoch zunächst an Hochleistungsversionen. Und genau diese waren nun unabdingbar für Ruhm und Ehre.
Kein Wunder, dass Mustang-Erfinder Lee Iacocca geradezu begeistert war, als Carroll Shelby 1966 aus dem Ponycar ein Rennpferd züchtete. Seit der überstarken Cobra galt der Texaner den Amerikanern als Schlangenbeschwörer, der jeden harmlosen Sportler zum Powercar transformieren konnte. Den Mustang ließ Shelby auf bis zu 276 kW/375 PS erstarken, genug um allen Pontiac GTO und sogar Amerikas einzigem zweisitzigen Supersportwagen, der Corvette Sting Ray, seine giftigen Zähne zu zeigen. Und mit der Aktion „Rent a Racer“ schrieb der Shelby GT-350H Geschichte bei Automobilvermietern. Hertz hatte eine Sonderserie von rund 1.000 schwarz lackierten und mit goldenen Streifen markierten Shelby bestellt, die den Kunden nach speziellem Fahrertraining überlassen wurden.
1967 erreichte die Fieberkurve der „Supercars“, wie die Fans ihre Favoriten damals nannten, einen ersten Klimax. General Motors fand mit Chevrolet Camaro und Pontiac Firebird die passenden Antwort auf den Ford Mustang und machte zugleich die bis zu 291 kW/395 PS starke Chevelle Super Sport als erstes speziell entwickeltes familientaugliches Supercar für die Massen erschwinglich. Jetzt beteiligte sich auch AMC an den Muskelspielen. Aus dem harmlosen Compact Javelin wurde eines der spektakulärsten Muscle Cars aller Zeiten entwickelt. Während AMC heute fast nur noch mit kuriosen Kompakten wie dem Pacer oder schrulligen Renault-Kooperationen wie dem Premier verbunden wird, traf der Javelin („Wurfspeer“) ins Herz aller Leistungsfetischisten. Möglich machte das ab 1970 auch seine Rolle als Titelfavorit bei Trans-Am-Rennen und Sonderserien mit dem Autogramm des Trans-Am-Champions Mark Donohue. Schreiend böse Farben wie „Big Bad Orange“, Flügel und Ram-Air-Hutzen bahnten ihm den Weg.
Genau darauf setzten ab 1967 auch der Plymouth Road Runner und ab 1969 der gerne grell rot lackierte Pontiac GTO, der als „The Judge“, über alle Rivalen wie den im gleichen Jahr eingeführten Dodge Challenger richtete. Zumindest die legendäre Filmkarriere des Dodge und seines Schwestermodells Charger mit Prüfstandswerten von mehr als 368 kW/500 PS blieb fast unerreicht. Im Roadmovie „Vanishing Point“ (Fluchtpunkt San Francisco) muss Ex-Rennfahrer und Ex-Polizist Kowalski einen Challenger R/T von Denver nach San Francisco überführen. Für eine Strecke von fast 4.000 Kilometer hat er lediglich 15 Stunden Zeit, was eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 266 km/h ergibt. Klar, dass er das kaum schaffen kann und europäische Supersportler wie ein Jaguar E-Type zu Statisten degradiert werden.
Auch im vielleicht bekanntesten automobilen Leinwandepos „Bullitt“ besetzt Porsche nur die Nebenrolle. Legendär ist allein die über zehnminütige Verfolgungsjagd durch San Francisco von Lieutenant Frank Bullitt (gespielt von Steve McQueen) in seinem Shelby Mustang GT 500 (bis 370 kW/503 PS) gegen einen Dodge Charger. Eine andere Spielart des Mustang, der Mach 1, wird dagegen absatzstärkstes Drehmoment-Monster für Muscle Maniacs. Die namensgebende Schallmauer knackte der Ford zwar nicht, dafür machte der Mustang im 007-Film „Diamantenfieber“ James Bond schneller als alle Schurken. Noch aggressivere Töne schlug das Schwestermodell des Mustang an, der Mercury Cougar Eliminator. Dennoch konnte auch er nichts gegen flügelbewehrte Monster mit Mopar-Power von Chrysler ausrichten.
Allerdings antwortete Chrysler mit dem 1967 eingeführten Plymouth Road Runner zunächst nur auf die fiktive Figur des Dr. Olds, der die Oldsmobile-Typen schneller machte. Dann aber machte das Wappentier von New Mexico, der Wegekuckuck, als Cartoonheld Road Runner auf den stärksten Chrysler-Modellen Karriere. Sogar die Hupe des Plymouth Road Runner imitierte den „Beep-Beep“-Ruf des schnellsten aller Comic-Helden, der sich seinem Verfolger Wile E. Coyote stets entziehen konnte. So wie der Road Runner mit fast meterhohem Heckflügel, wilder Streifen-Lackierung und Ram-Air-Hutze allen Rivalen derart rasant davon stürmte, dass nur der Dodge Charger als Nascar-Champion von 1969 und verwegenes Schwestermodell des Plymouth mithalten konnte. In seiner stärksten Ausbaustufe als Superbird knackte der Plymouth 1971 als erstes Muscle Car die 200-Meilen-Schallmauer (= 322 km/h). Damals Weltrekord für Serienautos.
Und zugleich vorläufiger Schlusspunkt unter diese Ära des automobilen Wettrüstens. Denn die ab 1971 eingeführten exorbitant hohe Versicherungsprämien für Supercars und die 1972 lancierten Verbrauchs- und Emissionsvorschriften der EPA-Behörde ließen die Absatzzahlen der Muscle Cars abstürzen. Als ein Jahr später die erste Ölkrise die Spritkosten für die bisweilen weit über 30 Liter pro 100 Kilometer konsumierenden Big Blocks explodieren ließ, führte dies zum abrupten Verschwinden der Muscle Cars. Allein der Pontiac Firebird Trans Am hielt einstweilen die Fahne hoch, dies aber mehr durch brachiale Optik als durch Leistung. Erst nach der Jahrtausendwende erlebten die Ikonen von einst ein Revival. Mehr Kraft fürs Geld als aktuelle Chevrolet Camaro, Ford Mustang und Dodge Challenger bietet kein Konkurrent.
Text: Spot Press Services/Wolfram Nickel
Fotos: Chrysler, Ford, General Motors (SPS)