Liebe Leserinnen!
Liebe Leser!
Anfang der Woche machte ich mich mitten in der Nacht auf, um so an die 700 Kilometer zurückzulegen, hatte ich doch früh morgens einen Termin in der Nähe von Salzburg zu absolvieren und keine Lust, den Sonntag einfach „herzuschenken“ und schon einen Tag früher anzureisen. Fahrten in der Nacht, sofern sie nicht gerade von Winterwetter und Regen oder Sturm geprägt sind, absolviere ich eigentlich recht gerne, weil sie – untermalt von guter Musik, die man ansonsten im Radio nur selten zu hören bekommt – so etwas Beruhigendes haben. Kaum Verkehr auf der Strasse, ein paar Lkw, die man in diesem Falle eher als werktätige Kollegen sieht und ab und zu ein flirrendes LED-Gewitter im Gegenverkehr. Nichts Dramatisches, einfach nur in Ruh vorwärts kommen.
Dabei schweifen die Gedanken auch schon einmal ein wenig ab, auch wenn man sich noch so sehr auf den (kaum vorhandenen) Verkehr konzentriert. Bei Fahrten in den Süden nehme ich von meinem Heimatort aus zunächst vorzugsweise eine gut ausgebaute Landstraße in der Pfalz, derentwegen ich schon heftigste Grundsatz-Diskussionen mit einer ansonsten eher sanftmütigen Vertreterin des weiblichen Geschlechtes führen musste: („Musst Du immer diese Sch… Opa-Strecke fahren! – Auf der Autobahn wäre ich schon dreimal vor Dir daheim gewesen – Dieses Rumgeeiere mit Bremsen, Beschleunigen, Überholen, hinten dran hängen, das macht mich ganz aggressiv.“). Weitere verbale Kostproben gepflegter Konversation gefällig?
Im nämlichen Falle – in der Nacht von Sonntag auf Montag – war ich alleine im Auto und demzufolge stand der stressfreien Wahl der Route nichts im Wege. Ein leichtes Grinsen beim Passieren der Bundesstraße 10, auf dem Weg Richtung Autobahn A8 von Karlsruhe über Stuttgart nach München, konnte ich mir dabei nicht verkneifen. Auch wenn es ja keiner sah.
Geht es Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, manchmal auch so, dass die Wahl der einzuschlagenden Ziel-Route zu unterschiedlich interpretierbaren Dissonanzen im menschlichen Miteinander führt? Erleben Sie dabei mitunter auch eine unverkennbare Steigerung des Lautstärken-Volumens vom sanften piano bis hin zum äußerst dringlichen „fortissimo“, das dann in der ultimativen Forderung gipfelt: „Jetzt lass mich endlich fahren, wie ich will. Beim nächsten Mal kannst Du ja anders rum fahren.“ Punkt! Ende! Oder doch nicht? Vielleicht erst einmal ein bisschen Schmollen, ein bisschen den verbissenen Gesichtsausdruck aufsetzen und im Stillen einfach denken: „Der Depp, und ich hab doch recht.“ Vielleicht erst der Anfang. Der Anfang teils milder, teils wilder, Diskussionen, wer denn nun die bessere Argumentationskette sein eigen nennen durfte.
Auf der langen und recht eintönigen Fahrt habe ich daher bei mir gedacht, wie sehr das Automobil in all seinen Facetten doch Einfluss auf unser tägliches Miteinander nimmt. Nicht nur bei der Kaufentscheidung, die Frauen den Ergebnissen wissenschaftlicher Studien zufolge dominieren sollen. Nein, auch im Umgang miteinander. In der Tonlage, im gegenseitigen Respekt, in der Kunst des kultivierten Streitgesprächs, das argumentativ geführt werden und nicht emotional ausarten soll. Es gibt wohl kaum einen ähnlichen Gegenstand des täglichen Gebrauchs, der so sehr zum Austausch von Meinungsverschiedenheiten, zum Streitgespräch, mitunter sogar zum völlig unnötigen „Zoff“ und zum gefährlichen Kulminationspunkt der zwischenmenschlichen Großwetterlage führt, wie das Automobil. Warum das so ist? Fragen Sie mich nicht, vielleicht scheiden sich am Auto einfach die Geister von Ihm und Ihr.
Liebe Leserinnen und Leser, ich hoffe, Sie stehen vor einem ruhigen, harmonischen Wochenende ohne irgendwelchen automobilen Grundsatz-Diskussionen mit Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin. Und wenn doch: Diskutieren Sie es am besten aus und tragen Sie nichts in den Schmollwinkel. Das könnte schlimmer sein als ein noch so umfangreicher Kratzer am Blechkleid ihres Automobils. Und egal, ob Fiesta oder Ferrari: An ein Stück Blech, mag es auch noch so aufregend sein, gewöhnt man sich: Er oder Sie im Kreislauf des Lebens wird immer eine aufregendere Wundertüte bleiben als jeder noch so begeisternde fahrbare Untersatz.
Ihr Jürgen C. Braun