Für Barbara Rütting war „Mein Kochbuch“ eher eine angenehme Nebenbeschäftigung: Als Schauspielerin war sie an Theatern und im Film seit Jahrzehnten gut im Geschäft. Und demonstrierte an einem Rezept, wie sie in einer Probenpause in der heimischen Küche ein schnelles Mittagessen hinbekommt – ganz ohne Konserven, ganz ohne Tütensuppen. Sie lebte damals schon einige Jahre als Vegetarierin auf einem Bauernhof.
Neun Jahre später hatte sie beim zweiten Kochbuch den Zeitgeist völlig auf ihrer Seite. Immer mehr Bioläden eröffneten, immer mehr Familien zogen die lange übliche üppige Ernährung in Zweifel, „Grünfutter“ erlebte einen Imagewechsel von der ungeliebten Beilage zum attraktiven Hauptgericht, Berichte über Massentierhaltung und Legebatterien für Hühner sorgten für Skandale. 1985 hatte Barbara Rütting ihre Schauspielkarriere offiziell beendet und sich fortan ganz dem Tierschutz, dem Umweltschutz und der vollwertigen Ernährung verschrieben. Aus der schreibenden Schauspielerin wurde die hauptberufliche Autorin von Sachbüchern. Die sich nebenbei noch zur Gesundheitsberaterin ausbilden ließ.
Und die scheute keinen Konflikt: Mit anderen Tierschützern ließ sie sich an den Toren eines Pharmakonzerns anketten, um gegen medizinisch begründete Tierversuche zu protestieren. In Talkshows vertrat sie nachdrücklich ihre Standpunkte und erkannte rasch, wenn sich die Erfüllung eines ihrer Anliegen doch nur als fauler Kompromiss entpuppte.
Diese Erfahrung machte sie insbesondere in der Berufspolitik: In den Achtzigern trat sie den GRÜNEN bei, die sie nach deren Zustimmung zum Kosovo-Einsatz der Bundeswehr wieder verließ. Jahre später trat sie erneut ein, der Austritt erfolgte diesmal vor dem Hintergrund von Afghanistan. Und dass die damalige Parteivorsitzende Künast vor laufender Kamera einen Fisch tötete als Beispiel für tierfreundliche Lebensmittelproduktion, das erzürnte Barbara Rütting gleichfalls. Im bayerischen Landtag war sie zeitweilig Abgeordnete, ihr Fazit freilich fiel ernüchtert aus: Kaum etwas habe sie bei den GRÜNEN bewegen können, zu sehr vermisste sie die Unterstützung ihrer Parteikollegen. Und dass diese bei öffentlichen Anlässen genau jene Kost servierten, die noch zu Zeiten ihres ersten Kochbuchs allgemein üblich war, bestärkte nur ihren Verdacht: Sie sei wohl ob ihrer Prominenz als Zugpferd für Wählerstimmen auserkoren worden, an einer wirklich aktiven Politikerin sei der Partei wohl eher nicht gelegen.
Gegner stellten sie gerne in die Schublade der verbitterten, ökofanatisierten Lila-Latzhosen-Trägerin. Wer sie traf, erlebte hingegen eine Frau, die für ihre Anliegen engagiert eintrat, dabei aber freundlich und zugewandt blieb, die gerne lachte und vor allem zuhören konnte. Im März 1985 habe ich sie in Saarbrücken für eine Schülerzeitung interviewt. Dort stellte sie damals „Mein neues Kochbuch“ vor. Der Untertitel „Schlemmereien aus der Vollwertküche“ versprach nicht zu viel. Den Gästen schmeckte das Vollwert-Buffet zur Präsentation erkennbar gut. Rütting selbst beantwortete mir am Ende des Abends bereitwillig Frage um Frage. Ein Belegexemplar schickte ich nach Sommerholz in Österreich, wo sie damals lebte. Sie bedankte sich per Briefkarte, unterschrieben mit: „In Eile, wie immer, Ihre Barbara Rütting.“
Die Eile legte sie erst 2018 ab. Damals zog sie sich für eine längere Auszeit ganz offiziell zurück. Wenn sie doch noch auftrat, nannte sie das „Auszeit von der Auszeit“. Mit ihrer Wahlfamilie lebte sie im Spessart, wo sie am 28. März 2020 mit 92 Jahren verstarb.
Heute führen große Discounter zertifizierte Bio-Produkte. Vegane und vegetarische Lebensweise sind schon lange trendy (wobei Barbara Rütting stets betonte, dass beide Kostformen nicht zwingend auch gesund sein müssen – die Vollwertkost war ihr Zauberwort). Kosmetikhersteller werben damit, vegane und tierversuchsfrei hergestellte Produkte anzubieten. Das von ihr erfundene Brot gibt es schon lange, von Barbara Rütting selbst autorisiert, im Handel zu kaufen. Die Liste ließe sich noch sehr verlängern – an all diesen Entwicklungen hat Barbara Rütting zweifellos ihren Anteil.
Bücher von Barbara Rütting (Auswahl):
Durchs Leben getobt. Autobiografie. Goldmann Verlag; 14 Euro.
Ich bin alt und das ist gut so. Nymphenburger Verlag; 20 Euro.
Koch- und Spielebuch für Kinder. Nymphenburger Verlag; 16,99 Euro
Vegan und vollwertig. Goldmann Taschenbuch Verlag; 12,99 Euro.