Autodesign: 50 Jahre Italdesign Giugiaro

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Bemisst sich der globale Erfolg einer Designfirma nach Verkaufszahlen, könnte diese italienische Ideenfabrik und Prototypen-Manufaktur Platz eins belegen. Das vor 50 Jahren vom Stardesigner Giorgetto Giugiaro gegründete Unternehmen Italdesign hat bereits weit mehr als 250 stilbildende Automobile entworfen, darunter gleich mehrere der volumenstärksten Modelle aller Zeiten. Giugiaros Ecken und Kanten machten den ersten VW Golf zum Kultobjekt, seine klaren Linien prägten den Ur-Passat ebenso wie den frühen Hyundai Pony und den ersten Fiat Panda: Insgesamt gibt es schon mehr als 60 Millionen Serienautos designt bei Giugiaro.

Auch als Retter in der Not wusste Italdesign Giugiaro, wie die Firma korrekt heißt, fast immer, welche Formen Konzerne aus Krisen führen. Von den 1980er bis in die 2000er Jahre vertraute Seat auf diese Expertise ebenso wie Alfa Romeo, Lancia, Renault, Saab, Maserati – und immer wieder Fiat. Nicht zu vergessen Italdesigns Starthilfen für asiatische Autobauer sowie die zahllosen Studien, mit denen die italienischen Formenkünstler Lust auf messerscharfe Linien und neue Karosseriekonzepte wie Vans und SUV machten. Als Italdesign im Jahr 2015 Bestandteil des VW-Konzerns wurde, zog sich Giorgetto Giugiaro nur kurz zurück. Denn noch im selben Jahr gründete er mit seinem Sohn Fabrizio eine weitere Design-Denkfabrik unter eigenem Namen, GFG Progretti. Zwei Mal Giugiaro-Design made in Turin, auch diese Konkurrenzsituation macht Italdesign einzigartig.

Wo sind sie geblieben, die experimentierfreudigen italienischen Designer mit den Visionen für extreme Formen? Ob Bertone, Ghia oder Vignale, von den über 50 Designateliers der 1960er Jahre hat kaum ein Studio überdauert. Nur Giorgetto Giugiaros Name prägt heute gleich zwei Designfirmen. Welches Geheimnis verbirgt sich hinter diesem Erfolg? Fachleute und vor allem seine Kollegen meinen, es sei dieser einzigartige Mix aus künstlerischem Talent und dem richtigen Gespür für neue Geschäftsideen, der Giugiaro groß gemacht hat und Italdesign an die Spitze der Designfirmen führte. Keine europäische Metropole, deren Straßenbild nicht von Autos styled by Italdesign geprägt wurde, stellten Medien 1999 fest als Giorgetto Giugiaro zum Autodesigner des Jahrhunderts gewählt wurde.

Damals waren bereits die meisten berühmten Carrozzerie untergegangen, von großen Konzernen übernommen worden oder sie hofften auf ein Überleben als verlängerte Werkbank der Industrie mit Fertigungsaufträgen für Cabriolets und Coupés. Genau diese Strategie des Serienbaus hatte Giugiaro stets konsequent vermieden, weshalb er auch von den Strudeln verschont blieb, die in den 2010er Jahren Bertone, Pininfarina, aber auch den deutschen Karossier Karmann an den Abgrund brachten. Tatsächlich erwarb sich Giugario schon in jugendlichen Jahren erstaunlichen Respekt, denn der Sohn einer Künstlerfamilie sammelte bereits im Alter von 17 Jahren in der Designabteilung von Fiat erste Berufserfahrung. Im Jahr 1959 gelang ihm der Sprung zu Bertone, wo ihn Nuccio Bertone sofort zum Chefdesigner ernannte. Der nun 22-jährige Nachwuchsstar Giugiaro lieferte mit den Studien Chevrolet Corvair Testudo und Ferrari 250 GT gleich zwei Meisterstücke, die Bertone als Privatwagen favorisierte.

Als Bertone in einem neuen Werk in Grugliasco schöne Cabrios und Coupés in Serie baute, darunter die unter Giugiaro gezeichneten Alfa Romeo Giulia GT (ab 1963) und Fiat 850 Spider (ab 1965), übernahm Giugiaro erst die Leitung der konkurrierenden Carrozzeria von Ghia, um dann 1968 in Turin zusammen mit Aldo Mantovani sein eigenes Unternehmen Italdesign zu gründen. Nun zeigte sich eine weitere Eigenart des bekennenden Automobilenthusiasten, der allerdings auch Nikon-Kameras und Waffen markante Formen gab. Auch als Chef war Giugiaro stets selbst am Zeichenbrett tätig, nie beschränkte sich der Maestro darauf, so wie fast alle anderen die handwerkliche Arbeit durch Nachwuchsdesigner erledigen zu lassen. Genau damit erwarb sich Italdesign eine Alleinstellung, die dem Studio gleich nach Gründung Aufträge der Superlative bescherte. Alfa Romeo erhoffte sich von Giugiaro geniale Formen für den 1971 eingeführten Alfasud, der als erstes Modell der Marke Produktionsmillionär werden sollte.

Leichtes Spiel im Vergleich zu der Herausforderung, die von Volkswagen kam: Das meistverkaufte Auto der Welt, der Käfer, suchte einen Thronfolger. Quasi als Fingerübung durfte Giugiaro zuvor den Passat finalisieren, der 1973 als Schrägheckvariante des Audi 80 vorfuhr. Wenige Monate später folgte der VW Scirocco, ein Coupé, an dem Giugiaro die Kanten und Ecken zeigte, die ihn unverwechselbar machten. Tatsächlich waren es die klaren Flächen und scharfen Linien, die auch den Golf unverwechselbar machten – auch wenn die Formen in Wolfsburg vor Serienstart leicht gerundet wurden – und die dem Kompaktwagen ein Grundkonzept gaben, das über sieben Generationen bis heute bewahrt wird. Ein Golf bleibt ein Golf und ein Giugiaro-Entwurf ein Giugiaro. Was sich in den ewig langen Produktionszeiten anderer kantiger Bestseller von Italdesign zeigte. Der Lotus Esprit blieb 27 Jahre im Handel, das polnische Volksauto FSO Polonez 24 Jahre, der erste Fiat Panda 23 Jahre, der Zastava Florida motorisierte 20 Jahre Serbien und Ägypten, das erste koreanische Eigengewächs Hyundai Pony wurde 16 Jahre gebaut und fast alle anderen Volumenfahrzeuge im kantigen Italdesign-Dress immer noch 10 bis 15 Jahre.

Darunter waren so unterschiedliche Modelle wie Alfa Alfetta GTV (ab 1974), Lancia Delta (ab 1979), Saab 9000 (ab 1984), Seat Ibiza (ab 1984), Renault 19 (ab 1988), Daewoo Kalos (ab 2002) oder Fiat Grande Punto (ab 2005). Tatsächlich zeigte Italdesigns Kantenkunst nachhaltige Präsenz auf allen Kontinenten, zumal der Ruhm der Designstudios durch Supercars gesteigert wurde. Angefangen mit dem Maserati Boomerang über den in der Filmtrilogie „Zurück in die Zukunft“ bekannt gewordenen DeLorean DMC-12 bis hin zu verschiedenen Bugatti für den VW-Konzern. Auch an gänzlich neue Konzepte wagte sich Italdesign, wie der Lancia Megagamma als Vorläufer aller Vans schon 1976 zeigte. Fit für die Zukunft blieben Giorgetto Giugiaros Designstudios zudem durch Büros in Nordamerika und Asien und durch die frühe Einbeziehung von Giugiaros Sohn Fabrizio in die Unternehmensführung. So erwarb Volkswagen 2015 keine Carrozzeria, die wie etwa Bertone finanziell am Ende war, sondern ein Kreativzentrum, das Design- und Ingenieurdienstleistungen erfolgreich vermarktete.

Nur mit einer Entwicklung hatte wohl niemand gerechnet: Dass es den inzwischen 77-jährige Giugiaro noch immer nicht in den Ruhestand zog, sondern er mit seinem Sohn noch einmal von vorn begann und GFG Progretti gründete. Während Italdesign Giugiaro das Jubiläumsjahr 2018 mit dem Kleinstserien-Supersportler Zerouno Duerta und einer Flugauto-Studie feiert, schneiderte GFG dem chinesischen Elektro-Renner Techrules schnelle Formen. Dieses Duell bleibt spannend.

Text: Wolfram Nickel/SP-X
Fotos: Autodrom, Italdesign Giugiaro, Volkswagen

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