Vielseitige Volksautos in verführerisch eleganter Formensprache, damit war Fiat zum italienischen Industriegiganten geworden. Entsprechend groß war das Befremden als die Turiner vor 40 Jahren erste Bilder des Fiat Ritmo veröffentlichten, der sich gegen den VW Golf durchsetzen sollte. Mit gewaltigen grauen Plastikstoßfängern an Front und Heck, verloren wirkenden Rundscheinwerfern und schmalen Rückleuchten wirkte der Ritmo wie ein Prototyp im Tarndress. Dazu passten die asymmetrische positionierte Lufthutze auf der Motorhaube und extrovertiert lackierte Stahlfelgen, die mit allen Konventionen brachen.
Provozierende Formen aus dem Fiat Centro Stile, die den kompakten, drei- und fünftürigen Ritmo ins Rampenlicht setzten und vom Aufbruch in eine neue Ära des Industriedesigns kündeten, das zwei Jahre später den originellen Fiat Panda hervorbrachte. Zunächst aber startete die Produktion des Ritmo im damals revolutionären Robogate-Produktionssystem. Eine fast voll automatisierte Fertigung, die ebenso wie der kompakte Fiat in die Zukunft weisen sollte.
Tatsächlich fuhr der in fast zwei Millionen Einheiten gebaute Ritmo über zehn Jahre auf der Erfolgsspur, seine gewagte Linea Industriale wurde allerdings geglättet durch mehrere Facelifts. Für frische Emotionen sorgten stattdessen heißblütige Ritmo Abarth – und ein juristisches Duell mit Seat: Nachdem der Turiner Konzern sich von seiner spanischen Lizenznehmerin getrennt hatte, präsentierte Seat den zum Modell Ronda mutierten Ritmo. Zwar war die Abstammung vom Ritmo klar erkennbar, trotzdem durfte Seat den Ronda als Rivalen zum Original anbieten.
Mit dem Ritmo verabschiedete sich Fiat 1978 endgültig von den über Jahrzehnte kultivierten Zahlencodes, deren Zuordnung zuletzt sogar Tifosi schwer fiel. Anfangs sollte der kompakte Nachfolger des 1969 lancierten Fiat 128 noch die Nummer 138 tragen (der Entwicklungscode), dann aber zeigten die Modelle 131 Mirafiori und 126 Bambino, dass klangvolle Bezeichnungen prägnanter waren. Und so gaben die 3,94 Meter langen Schräghecklimousinen als Ritmo einen neuen Rhythmus vor. Nur in Nordamerika und Großbritannien nannte Fiat das Modell Strada (italienisch für Straße). Eine Bezeichnung, die auf die Qualitäten des kleinen Italieners als Langstreckenfahrzeug hinweisen sollte, was durch eine damals konkurrenzlose Zwei-Jahres-Garantie für das Fahrzeug unterstrichen wurde.
Schließlich war der Fiat „Handbuilt by Robots“, wie ein origineller Werbefilm erklärte, in dem Strada beziehungsweise Ritmo von Robotern zu den Klängen von Rossinis „Barbier von Sevilla“ gefertigt wurden. Und dies in einer Verarbeitungsqualität, die deutsche Fachmedien als „vorteilhaft“ lobten. Von Anlaufproblemen blieb der Fiat trotzdem nicht verschont, wovon die rostigen Spuren schlechter Stahlqualität zeugten. Ein Dilemma, das damals viele Hersteller plagte.
Tatsächlich reduzierten die flexiblen Robogate-Automaten in den Fiat-Werken Mirafiori, Cassino und Rivalta aber auch ganz andere, spezielle italienische Sorgen. Die Motivation der streikfreudigen Mitarbeiter war zeitweise so gering, dass die täglichen Abwesenheitsquoten rekordverdächtig waren. Gleichzeitig aber hofften Gewerkschaften und die Fiat-Führung auf eine Rückkehr des Autobauers zu alter Stärke, sprich 70 Prozent Marktanteil in Italien.
Dieses Traumergebnis hatte Fiat zuletzt 1969 erreicht, seitdem ging es bergab bis auf „nur“ noch 50 Prozent Marktanteil. Kreative Kompakte wie der Ritmo und der in Vorbereitung befindliche Panda sollten die Nachfrage zumindest stabilisieren und der neue Kollege Roboter Fahrzeugausstoß, Produktqualität und Effizienz steigern. Eine Rechnung, die für Fiat aufging und das in einem immer härteren Wettbewerbsumfeld. Schließlich trat der Ritmo nicht nur gegen eine Armada europäischer Kompakter an wie VW Golf, Chrysler Horizon, Renault 14 oder Opel Kadett, auch die Japaner lancierten eine Flotte kleiner Fließhecks mit großer Klappe. Dem Ritmo gelang, was andere vergeblich versuchten. Er löste den optisch antiquierten Stufenhecktyp Fiat 128 ab – und hielt sich an keine Konventionen. Chefstylist Gian Paolo Boano beschäftigte sogar Möbeldesigner, damit Details wie das sechseckige Heckfenster aus allen gewohnten Rahmen fielen.
Ganz andere Überraschungen bot der Ritmo unter dem Blechkleid. Mit ausgesprochen großzügigen Platzverhältnissen für bis zu fünf Passagiere deklassierte der kompakte Italiener die Konkurrenz und mit günstigen Unterhaltskosten kompensierte der Fiat seine ambitionierten Kaufpreise. So kostete der 55 kW/75 PS starke Ritmo ebenso viel wie ein vergleichbarer VW Golf LS und damit deutlich mehr als die Wettbewerber. Das galt auch für alle anderen Motorisierungen, zu denen gleich vier effiziente Diesel zählten. Einzigartig war das breite Leistungsportfolio im Ritmo, der mit harmlosen 40 kW/55 PS zu haben war, aber auch als giftiger Skorpion im 96 kW/130 PS freisetzenden Spitzentyp Abarth 130 TC. 8,0 Sekunden genügten diesem Heißsporn für den Sprint auf Tempo 100, damit konnte es der auf einer separaten Produktionslinie montierte Sportler sogar mit Maranello-Legenden wie dem Ferrari 400 GT aufnehmen.
Auch ein viersitziges Cabriolet fürs Dolce Vita zählte zum Ritmo-Programm. Die Carrozzeria Bertone zeichnete für die Linien und die Fertigung dieses formschönen Luftikus verantwortlich, das zuletzt sogar unter der Marke Bertone vertrieben wurde. Auf einen feststehenden Überrollbügel konnte der viersitzige Sonnensegler aus Stabilitätsgründen nicht verzichten, wohl aber auf einen lästigen Verdeckberg, wie er manchen Wettbewerber verunstaltete. Damit nicht genug der Variantenvielfalt des Ritmo: Regata hieß die viertürige Stufenhecklimousine, die 1983 das Programm abrundete und ein Jahr später auch als Kombi Regata Weekend eingeführt wurde.
Während der Ritmo in Italien Fiat revitalisierte, führte er in Spanien Seat in die Unabhängigkeit. Dem 1950 von Fiat, dem spanischen Staat und einigen Banken gegründeten Konzern war mit Fiat-Lizenzbauten der Aufstieg in die Top Ten der größten europäischen Automobilhersteller gelungen – bis 1980 die Ehe zwischen Spaniern und Italienern geschieden wurde. Fiat verkaufte seine Anteile und Seat sollte den Vertrieb von Fiat-Modellen wie dem Ritmo einstellen. Allerdings fehlte es dem Autobauer aus Barcelona an Kapital und Zeit für Neuentwicklungen und so mutierte der Seat Ritmo zum Seat Ronda mit eigenständiger Front, anderen veränderten Exterieurdetails sowie von Porsche entwickelten Motoren. Genug Änderungen befanden von Fiat eilig angerufene Juristen, damit der Ronda als eigenständiges Modell durchgehen konnte. So kam es, dass der Seat Ronda ab 1983 auch in Deutschland gegen den Fiat Ritmo antrat und die Stufenheckversion Seat Malaga gegen den Fiat Regata Achtungserfolge erzielte. Eine spanische-italienische Rivalität, die schon bald wieder vergessen war. Denn der Ronda lief bereits 1985 aus und der Ritmo wurde 1988 durch den Fiat Tipo ersetzt.
Text: Wolfram Nickel/SP-X
Fotos: autodrom, Fiat