Harley-Davidson: 25 Jahre „Fat Boy“

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Es wird nur noch Wochen dauern, bis die DDR ihre Existenz beendet haben wird; auch die Sowjetunion hat nur noch wenige Monate vor sich, bevor sie zur Russischen Föderation mutiert. Wir schreiben das Jahr 1990. Harley-Davidsons Entwicklungsmannschaft um Willie G. Davidson, Enkel des Firmengründers, stellt voller Stolz ein neues Motorrad vor, das auf der Basis der Softail entwickelt worden ist und durch ein ziemlich ungewöhnliches Design auffällt: die Fat Boy. Kennzeichen sind ihre beiden massiven Leichtmetall-Scheibenräder, dazu kommen eine wuchtige Telegabel und ein an deren oberem Ende befestigter riesiger Chrom-Scheinwerfer. Breit, flach und gewaltig ist die 26.950 D-Mark (inkl. 14 % Mehrwertsteuer) kostende Fat Boy, womit sie ausgezeichnet zu einem Typen passt, der als Terminator bereits bekannt ist: In „Terminator 2“ setzt Arnold Schwarzenegger 1991 eine Fat Boy ein, um die Welt zu retten. Arnies Anschub kann die Fat Boy gut gebrauchen, ist ihr Start doch ausgesprochen verhalten verlaufen.

Damit hat sie die Erwartungen des Kölner Harley-Händlers Karl von Herz ziemlich genau erfüllt: Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen glaubt der nämlich nicht, dass die Fat Boy quasi aus dem Stand zum Selbstläufer werden würde. Die allererste Serie von 1990 – in Fine Silver Metallic mit sieben gelben Zierstreifen – ist weltweit ein rares Gut geblieben. 1.338 Kubikzentimeter misst ihr hämmernder V2-Motor der sogenannten Evolution-Serie, 56 PS beträgt die Leistung. Die ist weitgehend nebensächlich, denn eine Fat Boy fahren die Kerls nicht deshalb, um mit Maxi-Power und dem Spitzentempo von 145 km/h glänzen zu können, sondern um cool zum übernächsten Eiscafé zu cruisen. Ja, mit der Fat Boy entsteht die Spezies der Cruiser.

Insbesondere in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre, als viele Männer aus der Babyboomer-Generation in den Enddreißigern und Anfangs-Vierzigern wieder zurück zum Motorrad finden, etabliert sich die Fat Boy im Spitzenfeld des Harley-Modellprogramms, auch in Deutschland. Sie wird im Lauf der Jahre zur „Marke in der Marke“: „Ich hab’ eine Fat Boy“, genügt längst völlig, um dieses schon kultige Bike zu beschreiben. Der Herstellername, Harley-Davidson, ist nebensächlich.

Im Jahr 2000 debütiert die zweite Modellgeneration der Fat Boy mit dem neuen, 1.449 Kubikzentimeter großen Twin Cam 88B-Motor, neuem Rahmen und neuem Bremssystem. Die vormals deftigen Vibrationen werden durch eine Ausgleichswelle, Balancer genannt, deutlich reduziert; davon zeugt das B in der Motorenbezeichnung. Das Fahrzeugheck im Starrrahmenlook – die Federelemente sind, versteckt liegend unter dem Bike montiert – bleibt weitgehend unangetastet. Der Vollfett-Spaß beginnt mittlerweile bei 33.300 D-Mark. Das Update verhilft der Fat Boy in den Jahren 2002 und 2003 zu jeweils mehr als 500 Verkäufen in Deutschland, was das mit Einspritzanlage schon 20.010 Euro kostende Motorrad weit vorn im Harley-Programm rangieren lässt. Etwa zehn Prozent beträgt ihr Anteil an den Verkäufen der US-Marke.

Die dritte Generation kommt 2007 auf die Straßen: Der Big Twin wächst auf 1.584 Kubikzentimeter Hubraum und heißt jetzt Twin Cam 96B; Merkmale sind ein aktives Ansaug- und Auspuffsystem und ein Sechsganggetriebe statt der bisherigen Fünfgang-Schaltbox. Karl von Herz und seine Kollegen haben allen Grund zur Freude: Beinahe 700 neue Fat Boys werden 2007 in Deutschland abgesetzt, ein Allzeit-Rekord für die Jahre ab 2.000.

Seit 2010 ergänzt die Special-Version im düsteren Bad-Boy-Look das Harley-Portfolio und seit 2011 bremsen die beiden Fettleibigen serienmäßig mit ABS. Seit Einführung der Special liegt diese Variante in der Käufergunst stets vor der Basisversion. Letzte Evolutionsstufe ist die 2012 vorgestellte vierte Modellgeneration mit dem Twin Cam 103B-Motor, der aus 1.690 Kubikzentimetern mittlerweile 58 kW/79 PS auf den Zahnriemen schickt. Das Preisschild lautet inzwischen auf 21.295 Euro für die Basis-Version und 21.895 Euro für die Special, doch dabei bleibt es für die wenigsten der zuletzt rund 450 Käufer (2014): Das reichliche Individualisierungsangebot der Motor Company zieht wie eh und je.

Rund 7.000 Fat Boy sind seit 2001 in Deutschland zugelassen worden; die Zahlen für die Zeit von 1990 bis 2000 sind nicht mehr rekonstruierbar. In Relation zum aktuellen Markt-Leader, der allein 2014 über 8.000 Mal abgesetzten BMW R 1200 GS, mag das als wenig erscheinen, doch dieser Vergleich würde hinken: Wer eine Fat Boy sein Eigen nennt, legt Wert auf seine Selbstdarstellung, präsentiert sein Ego. Trotz ihrer massigen Erscheinung ist die 320 Kilogramm wiegende Fat Boy ein leicht zugängliches, längst auch leicht handhabbares Bike, das sich freudvoll bewegen lässt und ihren Fahrer blitzartig bewusstseinserweiternd in eine andere Welt beamt: relaxt, entschleunigt, lässig. Treu bleibt ihr auch der Filmruhm: Im 2015er Action-Spektakel „Terminator Genesis“ vertraut die Mannschaft erneut auf eine Fat Boy. Nur Arnie hat ihr inzwischen den Rücken zugewandt. Aber das stört niemanden.

Text: Spot Press Services/Ulf Böhringer
Fotos: Harley Davidson/SP-X

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