Renault: 30 Jahre Espace

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Renault war schon für manche praktische Überraschung gut. Mit dem unkonventionellen R4 hatten die Franzosen im Jahr 1961 den ersten Kleinwagen mit Kombiheck und variablem Innenraum vorgestellt, mit dem Renault 16 vier Jahre später die Heckklappe und das Schrägheck in die Mittelklasse eingeführt. Aber der Espace übertraf alles. Als im Mai 1984 die erste Pressemitteilung den Espace als neuen Großraum-Pkw von Matra (damals ein französischer Sportwagenspezialist) und Renault ankündigte, wussten selbst Fachmagazine nicht richtig, wie sie das fremdartig und futuristisch aussehende Auto einordnen sollten. War es ein Transporter, Kleinbus, Kombi oder doch eine Limousine? Völlig losgelöst von bestehenden Karosseriekonzepten schien der neue Franzose konzipiert worden zu sein.

Andererseits gab es vergleichbare Raumschiffe bereits seit einigen Jahren. Die Japaner und Amerikaner hatten schon ab Ende der 1970er Jahre verschiedene Konzepte im heute so populären One-Box-Design, also ohne optische Trennung von Passagier,- Gepäck- und Motorraum präsentiert, aber erst der Renault Espace machte die Raumgleiter in Europa zum Volumensegment. Mittlerweile in vier Generationen, mit der fünften gerade auf der Startrampe.

Ideen haben häufig viele Väter, vor allem wenn sie sich im Nachhinein als gut herausstellen. Und die Idee, Pkw-Passagieren und ihrem Gepäck mehr Platz durch eine neue Raumaufteilung zuzugestehen, war geradezu genial. Denn damit war der Van geboren, ein Crossover aus Kleinbus und Limousine. Viele wollen hier der Vorreiter gewesen sein. Genannt seien etwa Plymouth (Chrysler) Voyager, Mitsubishi Space Wagon oder Nissan Prairie. Sicher ist nur, dass Renault die europäische Autowelt revolutionierte, als der spacig aussehende Espace (= Raum) vor 30 Jahren zum Inbegriff des Familien- und Freizeittransporters wurde. Wobei sich diese Revolution anfangs überraschend still und leise vollzog, auf die übliche lautstarke Premierenparty bei einer Automobilmesse verzichteten die Franzosen nämlich.

Stattdessen schickte Renault den Espace passend zum französischen Ferienbeginn in die Schauräume der Händler, also zu einer im Autogeschäft traditionell ruhigen Zeit. So konnten sich Händler und Kunden ganz allmählich an den fremdartigen Espace mit futuristischer Linie im Stil eines Space Shuttles oder des Hochgeschwindigkeitszugs TGV gewöhnen. Tatsächlich aber verlief der Marktstart des Trendsetters so ruhig, dass er bei Renault für eine Schrecksekunde sorgte: Im ersten Verkaufsmonat gingen lediglich neun Bestellungen ein. Am Ende des Jahres waren es dann immerhin 5.923 Einheiten des neuartigen Minivans, die Renault-Kooperationspartner Matra baute.

Was damals noch niemand für möglich gehalten hatte: Der erste Espace erlebte einen gemächlichen, aber stetigen Höhenflug, der ihm erst im letzten Verkaufsjahr vor dem 1991 erfolgten Generationenwechsel sein Allzeitabsatzhoch bescherte. Beste Basis für den Nachfolger, das neue Marktsegment weiter auszubauen und für Renault Anlass, das Monospace-Konzept auf andere Klassen zu übertragen. So folgten 1992 der kleine Twingo und 1996 der Scénic als erste kompakte Raumlimousine.

Welcher neue Trend wurde von Renault und Partner Matra damit erkannt? Es war das sich wandelnde Freizeitverhalten der Bevölkerung. Erst in den 1980er Jahren wurde der Sport in alle Winkel der Gesellschaft getragen. Doch die Automobilhersteller waren auf all die Golfbags, Surfboards und Fahrräder, die in den Kofferräumen plötzlich Platz verlangten, mit konventionellen Kombis nicht ausreichend vorbereitet. Die innere Größe bei bescheidenen äußeren Abmessungen wurde ein Wohlfühlmaßstab für Autos. Am besten noch in Kombination mit neuen Komfort-Ausstattungen und schickem Design. An letzterem fehlte es den japanischen und amerikanischen Van-Vorreitern noch, die bisweilen an Mannschaftstransporter erinnerten, ebenso den Pkw-Versionen von Transportern wie VW Bulli und Ford Transit.

Kennzeichen der neuen Designlinie waren die weit nach vorn gezogene Windschutzscheibe und die gleichmäßig nach hinten ansteigende Frontpartie mit kurzer Motorhaube. Darunter verbargen sich 2,0-Liter-Benziner und etwas später auch 2,1-Liter-Diesel. Dieses Konstruktionsprinzip erlaubte eine Raumausnutzung von bislang nicht erreichter Effizienz: Bei einer Länge von nur 4,25 Metern und einer Breite von 1,78 Metern offerierte das Raumfahrzeug hohen Reisekomfort für sieben Erwachsene. Amüsantes Detail: Sogar Männer mit Hut hatten laut erstem Pressecommuniqué kein Platzproblem dank 1,66 Meter Innenhöhe. Der Mann mit Hut war zwar damals bereits Inbegriff der Spießigkeit, aber der Espace passt eben zu jedem.

Ganz neu in einem Pkw: Dank der drehbaren Vordersitze konnten sich die Passagiere bei der Rast buchstäblich einander zuwenden und das Mahl von dem zum Tisch wandelbaren Mittelsitz genießen. Überhaupt war die Variabilität der besondere Clou des Espace. So verfügte er über Einzelsitze, die sich erstmals in solcher Vielfalt je nach Bedarf im Innenraum anordnen ließen. Dazu kamen zahlreiche außergewöhnliche, teils optionale Komfortdetails wie Klimaanlage (damals nicht einmal in der Mercedes S-Klasse Standard), Infrarot-Zentralverriegelung (eine Renault-Erfindung), Klapptische an den Sitzlehnen, Leselampen und gleich zwei große Panorama-Sonnendächer.

Gänzlich neu war auch die außergewöhnliche und leichtgewichtige Karosseriekonstruktion des Espace. Eine tragende Struktur aus feuerverzinktem Stahl wurde mit Kunststoffpaneelen verkleidet. Das damals noch entscheidende Thema Rost hatte sich damit für den praktischen Familienfreund erledigt, der zudem unempfindlich auf kleinere Parkrempler reagierte. Schließlich waren die heutigen Parkassistenten noch unbekannt, stattdessen wurde vor allem in Frankreich nach Gehör in Lücken rangiert. In Fahrwerk und Fahreigenschaften verfügte das Raumfahrzeug dagegen über Limousinenqualitäten, wie die zeitgenössische Fachpresse begeistert konstatierte. Wirklich verwunderlich war das indes nicht, verfügte der Espace doch über ein aufwendiges Fahrwerk mit einzeln an Doppelquerlenkern und Feder-Dämpfer-Einheiten aufgehängten Vorderrädern und einer Verbundlenker-Hinterachse plus Panhardstab und ab 1988 sogar über optionalen Allradantrieb.

Während die komplette Fahrzeug-Technik von Renault stammte, kam das geniale Karosseriekonzept von Matra. Tatsächlich hatte die Geschichte des Renault Espace bei Matra im Jahr 1978 sogar ihren Anfang genommen. Der Hersteller des exzentrischen Kunststoff-Sportwagens Bagheera und des Crossover-Modells Rancho in Offroadoptik versuchte die Van-Idee auf Pkw zu übertragen. Philippe Guédon, damals technischer Leiter des Unternehmens, beauftragte den Designer Antoine Volanis mit dem Entwurf eines solchen Fahrzeugs im One-Box-Design. Allerdings fehlte es den Matra-Kooperationspartner Peugeot (Bagheera und Rancho wurden über Simca/Talbot/Peugeot-Händler vertrieben) am Mut für einen solches Fahrzeug. Nicht einmal die sonst so innovationsfreudige Marke Citroën wagte sich an das Projekt.

Erst Renault-Chef Bernard Hanon erkannte 1982 das Potenzial auf den ersten Blick: „Zu diesem Auto kommt man von selbst, wenn man alle automobilen Eitelkeiten beiseite lässt.“ Hanon gab grünes Licht für die Serienentwicklung, wobei Matra die Produkt- und Fertigungsentwicklung übernahm. Eine Kooperation, die über drei Espace-Generationen bis 2002 währte. Dann übernahm Renault die Produktion der gerade vorgestellten vierten Espace-Serie mit dem Ziel, den Raumgleiter in Richtung Produktionsmillionär zu beschleunigen.

Text: Spot Press Services/Wolfram Nickel
Fotos: Renault/SP-X

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