Buchtipp – Niehues: Poesie der Vergänglichkeit

Woran denken Sie, wenn Sie nach den USA unter dem Aspekt „Automobil und Straßenverhältnisse“ gefragt werden?

Vielleicht an wahrlich gewöhnungsbedürftige Realitäten, jedenfalls für Europäer. Realitäten, in denen sich auch ein hierzulande geübter Autofahrer erst mal zurechtfinden muss. Vielleicht daran, dass es Regionen gibt, in den selbst Kurzstrecken gar nicht zu Fuß bewältigt werden können, weil die Straßen das nicht vorsehen. Vielleicht auch an den Hummer, jenes SUV, neben dem ein Micro Car aus Europa wie ein Spielzeugauto wirkt. Okay, die Marke Hummer gibt es nicht mehr, sie wird aber möglicherweise mit neuem Konzept wiederbelebt (KÜS Newsroom 14. Januar 2020).

Also groß, größer, USA? Nicht nur: „Poesie der Vergänglichkeit“ nennt Heribert Niehues seinen Bildband, im Obertitel „Lost Places“ — Plätze, die schlicht vergessen wurden und dann für den Fortschritt verloren waren.

Welche sind das? Tankstellen etwa, die irgendwann geschlossen wurden, aber als solche noch gut erkennbar sind, „Service Stations“. Gebäude, die in ihrem Verfall fast schon morbiden Charme entwickeln. Manche sind tatsächlich noch in Betrieb! Und überall Autos, groß dimensioniert zweifellos, aber erkennbar dem Rost ergeben. Der Horror vieler Autofans.

So zeigt Fotograf Niehues die oft unbekannte Seite der USA, die von vielen Menschen bewundert werden ob der Vorherrschaft des Gigantischen. Nur ist nicht alles „great“ oder big“. Wirtschaftswachstum, die Dominanz des Automobils, das als Fortbewegungsmittel Nummer 1 die Eisenbahn ablöste, die legendären und gerne auch cineastisch verwerteten Highways … das alles hat eben auch andere Plätze hinter sich gelassen. „Lost places“ eben.

Und wer als großer Fan gerne immer mal wieder „übern“ Teich fliegt, möge mir den abschließenden Vergleich nachsehen: Das Titelfoto wurde – natürlich – im Musterland des Glaubens an die unbegrenzte Kraft des Einzelnen aufgenommen. In einem Land, in dem die Karriere „vom Tellerwäscher zum Millionär“ als eine für jedermann realisierbare Option gilt. In einem Land, in dem Pläne für ein Gesundheitssystem auf der Basis des Solidaritätsprinzip sehr vielen Menschen als „Teufelswerk“ gelten. Nun … denkt man sich das Covermotiv ohne Titel, könnte man durchaus annehmen, es sei auf Kuba entstanden. Also da, wo Anhänger lange Zeit das „sozialistische Paradies“ sahen.

Heribert Niehues: Poesie der Vergänglichkeit – Lost Places in den USA.

Delius Klasing Verlag; 49,90 Euro

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