CD-Tipp – Westernhagen zum 70.

"Inzwischen sind wir ja alle mehr oder weniger Antiquitäten", sagte er dem ZDF-Morgenmagazin am Donnerstag. Da war sie wieder - die respektlos-ironische Haltung, mit der er auch vor sich selbst sympathischerweise nicht Halt macht: Marius Müller-Westerhagen ist (unglaubliche) 70 geworden. Und seine Einschätzung bezieht sich klar auf seinen Jahrgang, von dem einige - auch er - ihre Karriere mit einer Hamburger WG begannen. Halt, so ganz stimmt das nicht. Als Halbwüchsiger hatte er sich schon als Sprecher verdingt, mit "Theo gegen den Rest der Welt" Furore als Schauspieler gemacht. Und doch wird er heute vor allem als Musiker wahrgenommen.

Und bis heute ist es unmöglich, an ihm vorbeizukommen, so man sich für deutschsprachige Rockmusik interessiert. „Das erste Mal“ – so hieß auch sein Debütalbum – trat er 1974 in Erscheinung. Ein Achtungserfolg. Vier Jahre später der Durchbruch: „Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz“ ist längst ein Klassiker. Später nannte er sich nur noch Westernhagen, und mit Songs wie „Sexy“, „Freiheit“, „Weil ich dich liebe“ hat er bewiesen, dass sich auch auf Deutsch vorzüglich rocken lässt. Ein Open Air von ihm stand ich bei kaltnassem Wetter bis in die Nacht bis zu den Zugaben durch, wachte am nächsten Tag, einem Sonntag, mit einer fetten Erkältung auf – und die tat mir kein bisschen leid, so fies sie sich auch anfühlte. War ja Westernhagen. Spätestens seit seinem Beitrag für einen Schimanski-„Tatort“ mit Götz George war er ohnehin zu einer Art Sprecher der „Generation 1966plusminus“ avanciert. Die nahm sein „Hier in der Kneipe fühl ich mich frei“ nur zu gerne wörtlich… 

Ach ja, das mit dem Wörtlich-Nehmen: Da war sein Song „Dicke“ aus dem „Pfefferminz“-Album. Eine Kritik an der Diskriminierung der im Titel genannten Personengruppe sollte das sein. Da Westernhagen aber bis heute so aussieht, als müsse man ihm einen Teller mit Butterbroten hinstellen, wurde die Ironie vielfach verkannt und als seine persönliche Meinung gedeutet. Ein Leserbrief, bei dem die Wut erkennbar die Feder geführt hatte, befand in einer Zeitung damals sinngemäß: Wer selbst unter der Dusche von Strahl zu Strahl springen müsse, um nass zu werden, solle doch sowas besser nicht singen… 

Will man ihm gerecht werden, darf man auch seinen Hang zur Arroganz in einer Würdigung nicht unterschlagen. Die blitzte bisweilen deutlich durch, je älter der einstige Jungspund wurde. Unvergessen seine öffentlich ausgetragene Fehde mit dem Kollegen Grönemeyer – da prallten zwei Alphatiere des Business aufeinander. Unvergessen auch sein Interview mit einer früheren Lehrerin, als man der Hundertjährigen ihren ehemaligen Schüler als Überraschungsgast präsentierte. Der nutzte den öffentlichen Auftritt zu einem Exkurs, mit dem er gegen den Blitz-Rücktritt Oskar Lafontaines von allen Ämtern 1999 wetterte. Rock ist halt von Natur aus politisch, meistens links, aber auch die „Nähe von Natur aus“ verschonte den bisherigen Finanzminister und SPD-Vorsitzenden nicht vor heftiger Kritik. 

Vieles von dem, was er in Jahrzehnten veröffentlicht hat, ist unverändert hörenswert. Ausgerechnet sein „Willenlos“ vom Longplayer „Affentheater“ 1994 hat es inzwischen zu Coverversionen auf Oktoberfesten geschafft. Da ist dann vom Deutsch-Rock nicht mehr so viel übrig. Aber: Dass Westernhagen auch als „Antiquität“ weiter von sich hören lässt, dürfte unbestritten sein. Immerhin hat er noch 2017 für sein „MTV Unplugged“ Platin eingefahren. 

Foto: Philipp Löffler/Universal Music

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