„Le tour se passe aujourd‘hui“, also „Heute kommt die Tour vorbei: Wenn die Menschen in den französischen Städten, Dörfern und manchmal auch nur kleinen verlassenen Höfen im alpinen Hochgebirge diese Nachricht erhalten, dann steht der Ort in der Regel Kopf. Und für einen Tag im Jahr ist nichts so wie es sonst ist. Denn: „le tour“, das größte dreiwöchige Sportspektakel unter freiem Himmel, elektrisiert Millionen von Menschen.
Und dabei sind es nicht nur die 176 (im Vorjahr 198) Radprofis aus 22 Rennställen, sondern es ist das ganze Drumherum, das sich mit der Tour de France verbindet. Da ist beispielsweise die riesige Werbekarawane, die etwa zwei Stunden vor dem Feld voranfährt. Hier präsentieren sich die Sponsoren der Frankreich-Rundfahrt wie die Marktschreier – bunt und schrill.Doch die Tour besteht auch im Feld beileibe nicht nur aus sündhaft teuren Fahrrädern, sondern auch aus jede Menge Autos, aus Begleitfahrzeugen aller Marken und Hersteller mit dem modernsten Equipment. Und sie wird während jeder Tagesetappe wie ein Mückenschwarm von Motorrädern begleitet. Rund 50 „Motos“ der französischen Gendarmerie, allesamt übrigens BMW-Maschinen, dazu die Motorräder mit den Kameramännern der verschiedenen Fernsehanstalten, die Fotografen der großen Agenturen, der Tageszeitungen und der weltweiten Sendeanstalten.
Räder, so absurd es klingt bei einem drei Wochen andauernden Radrennen, sind in der Minderzahl. Die, die über sie berichten, sie beschützen, das riesige Millionen-Spektakel veranstalten – sie alle dominieren die Szene. Lange bevor die Ausreißer, das Hauptfeld und ein paar Versprengte, die wieder Anschluss suchen und wie in einem Zeitraffer an den Menschen an der Straße vorbeizischen, ist das große Schaufenster der rollenden Industrie bereits geöffnet.„Partenaire officiel du Tour“, prangt in großen Lettern auf den Türen der Škoda-Fahrzeuge (Superb, Octavia, Karoq), mit denen die Offiziellen unterwegs sind. Was die tschechische Volkswagen-Tochter für diesen Deal zahlt, drei Wochen lang jeden Tag mehrere Stunden vor den Augen von Millionen potenzieller Kunden vorbeirollen zu dürfen, ist – natürlich – ein Geheimnis.
Doch seit Škoda den italienischen Fiat-Konzern, der sich dieses Privileg über viele Jahre hinweg erkaufte, als Auto-Partner der Tour-Direktion verdrängt hat, ist es beim „partenaire officiel“ auch geblieben. Wie lange der Vertrag zwischen dem Hersteller und dem Tour-Veranstalter A.S.O noch andauert, auch darüber werden keine Angaben gemacht. Offenbar aber ist es für beide Seiten die vielzitierte „Win-Win-Situation“, sonst hätte sich da schon längst etwas geändert. Und selbst wenn der französische Staatspräsident – was gute Tradition ist – einmal pro Jahr während der Tour im Wagen von Tour-Direktor Christian Prudhomme mitfährt, tut er das in keinem Voiture französischer Herkunft, sondern eben in einem Škoda.
Daneben gibt es aber noch die Materialwagen der 22 Profi-Radrennställe, die Ersatz-Laufränder ihrer Fahrer auf dem Dach und Werkzeug für die Mechaniker an Bord haben. Den Teams ist es freigestellt, mit welchem Hersteller sie bei der Wahl ihrer Begleitfahrzeuge zusammenarbeiten, sie sind nicht an die Vereinbarung der A.S.O mit Škoda gebunden. Da sieht man die unterschiedlichsten Fabrikate, die sich als Sponsoren bei den Teams eingekauft haben und dafür plakative Werbung für ihre neuesten Produkte machen Das geht quer durch die Hersteller-Palette und ändert sich von Jahr zu Jahr. Den exklusivsten Partner hatte sich vor einigen Jahren der russische Kathusha-Rennstall „geangelt“, der mit Kombis von Jaguar unterwegs war.
Fast ausschließlich französische Autobauer rüsten die mit riesigen Aufbauten versehenen bunten Automobile der „caravane publicitaire“, der Werbekarawane aus, also die PSA-Töchter Peugeot und Citroën sowie Renault. Neben den BMW-Krädern, übrigens allesamt Boxer, der französischen Gendarmerie ist auch Kawasaki als Motorrad-Hersteller vertreten. Auch in diesem Falle ist es so wie bei den Begleitfahrzeugen der Teams. Die Foto-Agenturen sind frei in der Wahl ihrer Partner.
Nur eines muss in jedem Fall gewährleistet sein. Die beiden Jungs auf der „Gummikuh“, Fahrer und Fotograf, die Rücken an Rücken sitzen, müssen wahre Hasardeure im Sattel und aufeinander eingespielt sein. Denn auf den engen, rasenden Abfahrten im Hochgebirge sind keine Hobby-Fahrer gefragt, die als Frührentner noch einmal ein bisschen mit den Kumpels ausfahren wollen. Die Tour braucht Könner im Sattel. Sei der nun auf einem Rad oder Krad.
Text und Fotos: Jürgen C. Braun