15 Grad zeigt das Thermometer Anfang Dezember, immerhin. Allerdings schüttet es an diesem Nachmittag wie aus Kübeln. Höchst mäßige Voraussetzungen, um sich erstmals mit einem neuartigen Motorrad-Fahrrad-Zwitter zu beschäftigen, den es durch die Straßen der andalusischen Metropole zu treiben gilt. Albero heißt das von Hersteller Bultaco entwickelte Elektro-Zweirad. Neun Gänge hält das Schaltwerk bereit, dazu einen Knopfdruck-Overdrive mit Faktor 1,65, um jenseits von 25 km/h nicht hohl zu treten (das Albero 4.5 läuft nämlich 45 Sachen). Und, natürlich einen 2 kW/2,7 PS starken Radnabenmotor sowie einen massiven Akkupack, der gut für bis zu 100 Kilometer Reichweite sein soll. Doch nach fünf Kilometern ist trotz Regenklamotten vorläufig Schluss: Allzu widrig sind die Bedingungen.
Am folgenden Vormittag, bei Weiß-Blau-Himmel, sieht die Sache anders aus. „Am besten ist es, wenn man als Albero-Fahrer trotz des Elektroantriebs in die Pedale tritt“, rät Alessandro Bifano, italienischer Zweirad-Experte in spanischen Diensten. Was für eine bescheuerte Idee, blitzt es kurz durch mein Gehirn: Da hat man einen E-Motor und einen vollen Akku dazu und soll in die Pedale treten.Also ignoriere ich Alessandros Hinweis, stelle meine Füße auf die Tretkurbeln und belasse diese in waagrechter Ruheposition. Ein Dreh am rechten Lenkergriff genügt, leise surrend setzt sich das Albero in Bewegung. Anders als bei einem Pedelec ist jedoch bei 25 km/h keineswegs Schluss mit dem elektrischen Rückenwind, sofern man jedenfalls statt des lahmen Eco-Fahrmodus „Touring“ oder – noch deutlich lebendiger – gar „Sport“ angewählt hat: 50 km/h zeigt der kleine Digitaltacho maximal, die Alleebäume auf dem Paseo de los Curas fliegen nur so vorbei. Alessandro, ein paar Meter vor mir unterwegs, tritt eifrig in die Pedale, ist deshalb aber nicht schneller. Irgendwie sieht seine Fahrt aber dynamischer, einfach besser aus.
Klar wird mir der Unterschied zwischen dem Mit-Pedalieren und dem Gefahren-werden auf der kurvenreichen Straße hinauf zur Burg Gibralfaro. Ohne Treten rollt man mühelos bergauf. Trete ich aber beim selben Tempo – sagen wir 35 km/h – in die Pedale, fühlt sich das deutlich schneller an. Es steckt angewandte Psychologie dahinter: Das In-die-Pedale-treten macht mich zum gefühlten Fahrradfahrer. Und da sind 35 km/h (noch dazu bergauf!) eine ganz andere Nummer als Tempo 35 auf einem x-beliebigen E-Motorrad oder einem E-Roller. Da ist dann nämlich nichts Dynamisches dran.
Fortan also nutze ich das Neungang-Schaltwerk; es ist vom linken Lenkergriff aus leicht verstellbar. Ganz gleich ob auf den engen Innenstadtstraßen Malagas oder auf den breiten Avenidas der Halbmillionenstadt: Man kommt locker vorwärts. Wie weit? Die Frage muss im ersten Fahrtest unbeantwortet bleiben, zu kurz ist dafür der knapp einstündige Ausflug. 50 Kilometer bei „Sport“, 75 bei „Touring“ und 100 bei „Eco“ steht in den Presseunterlagen. Dazu „bis zu“. Wahrscheinlich ist Mit-Pedalieren also auch der gesteigerten Reichweite wegen empfehlenswert. Das Laden kann entweder am montierten Akku oder auch extern erfolgen; die Batterie ist mit drei Handgriffen in 15 Sekunden demontierbar. Gut acht Kilogramm wiegt der Speicher; zum Laden genügt eine Haushaltssteckdose. Ein leerer Akku ist nach drei Stunden zu 95 Prozent gefüllt, heißt es. Dann kann’s wieder losgehen.
Technische Basis des Albero ist das Modell Brinco, seit zwei Jahren im Handel und mittlerweile etwa 2000 Mal gebaut. Die Firma hat ihren Sitz in Madrid, montiert wird in Barcelona. Die dicken Schwalbe-Reifen, die hochwertige Lichtanlage, die guten Feder- und Dämpfungselemente für Vorder- und Hinterrad und die sehr wirksamen, gut dosierbaren Scheibenbremsen vorne und hinten entstammen allesamt der Produktion hochwertiger Marken; mit Magura (Bremsen) , Schwalbe (Balloon-Reifen Typ „Crazy Bob“) oder Supernova (Beleuchtung) sind auch einige deutsche darunter. Es verwundert deshalb kaum, dass das Bultaco Albero voraussichtlich ein Preisschild in Höhe von etwa 5.800 Euro aufweist. Wobei es in Deutschland momentan erst vier Händler für das elektrische Motor-Fahrrad gibt; ein Importeur wird noch gesucht.
Der hintere Kotflügel kann in zwei Positionen montiert werden und so mehr oder weniger Chic oder auch Schutzwirkung entfalten, einen Acht-Kilo-Gepäckträger gibt es als Zubehör. Dennoch: Der Fahrspaß steht obenan. Aber das war bei den Bultaco-Motorrädern, die zwischen 1958 und 1979 Spanien aufmischten, auch nicht anders. Die knatterten freilich noch unüberhörbar und errangen zahlreiche Weltmeistertitel, bis der Untergang kam. Jetzt soll einstiger Motor-Adel wieder auferstehen. Zwar ganz leise, aber nicht länger im Verborgenen.
Text: Ulf Böhringer/SP-X
Fotos: Bultaco/SP-X