Vor einem halben Jahrhundert kam die Nachricht einem Erdbeben gleich: Opel, der zweitgrößte deutsche Autobauer, befand sich mit seinem Megaseller Rekord auf der Verliererstraße. Über ein Jahrzehnt hatte der Rekord hierzulande nicht nur die Mittelklasse beherrscht, er war sogar die Nummer zwei hinter dem VW Käfer. Aber der 1965 lancierte Rekord B hatte nicht verhindern können, dass Opels Marktanteil in der Mittelklasse von über 40 auf 28 Prozent einbrach, während Erzrivale Ford seinen Anteil mit dem angejahrten Taunus 17 M/20 M von 17 auf 31 Prozent steigerte. Entsprechend hoch waren im Spätsommer 1966 die Erwartungen an den vollkommen neu entwickelten Rekord C.
Tatsächlich war dieser Rüsselsheimer ein Dynamiker, der alles anders machte. So verkörperten die nach dem Vorbild des Chevrolet Chevelle im Coke-Bottle-Design gezeichneten und optional mit Sechszylindermotoren lieferbaren Limousinen, Coupés und Caravans der Rekord-Reihe einen damals aufregend wirkenden Mix aus sportivem amerikanischem Lifestyle und deutscher Technik. Ein preiswerter Power-Cocktail, der die Käufer auf die Überholspur lockte. „Fahren Sie den Dicken davon“, forderte die Opel-Werbung auf und beruhigte bezüglich der noch bezahlbaren Preise, man habe sich nicht „verdruckt“. Mit diesen Zutaten wurde der Rekord C erst Europas meistgekauftes Mittelklassemodell, dann ein brasilianischer Bestseller mit Chevrolet-Markenzeichen sowie schließlich meistgebauter Opel seit dem Lutzmann von 1899. Nicht zu vergessen: Die Produktions-Schallmauer von einer Million Einheiten durchbrach der bis Ende 1971 gebaute Rekord C ebenfalls als erster Opel. Rekorde über Rekorde, die so kein späterer Opel Rekord übertreffen konnte.
Vor allem aber machte die komplett neu gestaltete Mittelklasse mit Blitz den Konkurrenten aus Köln und Wolfsburg das Leben schwer. Ford konterte den Rekord C zwar schon 1967 mit einer neuen 17M/20M-Generation, diese verfehlte jedoch vollkommen den Kundengeschmack durch antiquierte Fahrwerkstechnik und schwülstige Formen. Ein „unerfreuliches“ Auto, meinten sogar Fachmedien über den Ford und die Kölner mussten die Fertigungszahlen ihres Flaggschiffs um fast 40 Prozent reduzieren.
Der VW 411 von 1968 konnte ebenso wenig reüssieren. „Wenn der Rekord steigt, fällt mancher zurück“, tönte die Opel-Werbung selbstgefällig, als Opel alle Register gezogen hatte und den Rekord nun auch noch als sportliche Spitzenversion Sprint anbot mit Rallyestreifen, Zusatzscheinwerfern und 78 kW/106 PS starkem 1,9-Liter-Vierzylinder. Ein Kraftpaket, mit dem dieser Zweitürer in 12,5 Sekunden auf 100 km/h spurtete und sogar Sportwagen wie dem Porsche 912 Paroli bieten konnte.
Dennoch: Das Lossprinten in der Verkaufsstatistik gelang dem Sportler nicht. Zu nahe kam ihm eine fast gleichzeitig ins Rennen geschickte Luxusversion des Rekord, der Commodore. Mit zugkräftigen Sechszylindermotoren und Premiumimage schickte dieser neue Kommandant des Rekord-Geschwaders den kaum preiswerteren Sprint auf eine unbedeutende Außenbahn. Ein Schicksal, das der Sprint übrigens mit dem Sechszylinder-Rekord 2200 teilte, der gegenüber dem Commodore gleichfalls chancenlos blieb.
Noch rarer blieb nur das exklusive 2+2-sitzige Rekord Sport-Cabriolet, dass der Karossier Karl Deutsch in Köln aus dem Coupé zauberte. Der Vertrieb erfolgte über das Opel-Händlernetz, allerdings kostete das Cabrio gegenüber dem Coupé fast 50 Prozent Aufpreis. Ein luxuriöses offenes Vergnügen, das sich lediglich 50 Opel-Fahrer gönnten. Andererseits passte der Frischluft-Rekord zur Opel-Philosophie, die vorsah für alle Kundenbedürfnisse den passenden Rekord bereit zu halten. Deshalb gab es ab 1967 auch einen Rekord mit langem Radstand in der „Sonderausführung Taxi“ und ein geschlossener Rekord Kastenwagen für Handwerker durfte ebenfalls nicht fehlen.
Am Ende waren es acht Karosserieversionen und Motoren von 43 kW/58 PS bis 78 kW/106 PS, mit denen die Rüsselsheimer Mittelklasse dem Werbecredo des „Vielseitigkeits-Rekord“ gerecht werden wollte. Wem das nicht reichte, konnte das Schwestermodell Commodore kaufen, das als 110 kW/150 PS starker GS/E sogar die V8-Oberklasse scheuchte.
Variantenvielfalt und kesser Hüftschwung über der Hinterachse genügten natürlich nicht für die Führungsrolle in der automobilen Mittelklasse. Immerhin kämpften dort damals noch über 20 europäische Marken von Alfa bis Volvo um die Gunst der Käufer, für die das Auto ein wichtiges gesellschaftliches Statussymbol war. Weshalb Opel den stattlichen Rekord speziell für Aufsteiger aus kleinen Klassen in einer billigen Basisversion anpries und in der Werbung beruhigte: „Er hat nur ein paar Chromleisten weniger …“ Was der Rekord sogar in Magerausstattung manchem Wettbewerber voraus hatte, war sein modernes Fahrwerk. Die starre Hinterachse musste sich nicht länger mit Blattfedern bescheiden, sondern wurde durch Schraubenfedern abgestützt und von Doppel-Längslenkern und einem Panhardstab geführt. Hinzu kamen vordere Stabilisatoren, hinten waren sie Option. Auch in Sachen Sicherheit tat sich viel, denn servounterstützte Zweikreisbremse und Scheibenbremsen gab es serienmäßig und ab Herbst 1967 auch die Sicherheitslenksäule mit Sollbruchstelle.
Obwohl die Presse über einige Probleme mit dem 1,9-Liter-Motor berichtete, war das Medienlob ob der hohen Verarbeitungsqualität der Rekord und Commodore fast überschwänglich. Das Image „Opel, der Zuverlässige“ blieb erhalten und sogar von „Wunderwagen“ war die Rede. Ein Ruf, der durch spektakuläre Motorsportauftritte zusätzlich gefördert wurde. Sei es mit dem Gewinn des „Coupe des Dames“ bei der Rallye Monte Carlo 1971 durch Marie-Claude Beaumont auf Commodore GS/E oder durch die legendäre „Schwarze Witwe“ von 1968. Dabei handelte es sich um einen geheimnisvollen, 110 kW/150 PS starken Opel Rekord für die Gruppe 5 der Spezial-Tourenwagen, der offiziell ohne Wissen des Opel-Vorstands gebaut worden war und erstmals in Zolder auftauchte. Die Idee dieses Renn-Opel mit schwarzem Lack und gelbem „Opel-Auge“ stammte von den Designern Charles „Chuck“ Jordan und Anatole Lapine, die damit erfolgreich für einen Opel-Markenpokal warben.
Als die sechste Rekord-Generation und der Commodore A zur Jahreswende 1971/1972 Platz machten für gleichnamige Nachfolger, hatten die Mittelklassemodelle Opel fast wieder zum deutschen Marktführer gemacht. Richtig genießen konnten diesen Triumph jedoch erst die neuen Rekord D und Commodore B, denn im Mai 1972 gelang Opel das unmöglich geglaubte: Mit einem Marktanteil von 20,4 Prozent überholten die Rüsselsheimer kurzzeitig den Erzrivalen VW. Auf internationalen Märkten war die Karriere des Opel-Duos im Coke-Bottle-Design damals übrigens noch nicht am Ende. In Brasilien und Uruguay liefen etwa die Chevrolet Opala und Commodoro noch bis 1993 vom Band. Kürzer waren nur die Bauzeiten des Opel Olympico in Mexiko und der Ranger-Modelle in Südafrika, Belgien und der Schweiz. Unsterblich sind die GM-Modelle dennoch alle – dank der formgebenden Coca-Cola-Flasche.
Text: Wolfram Nickel/SP-X
Fotos: Opel/SP-X