Renault: 60 Jahre Alpine

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Neue Automobile als nationale Wahrzeichen zu zelebrieren, das versteht niemand besser als die Franzosen. So stand die Premiere des Urahns aller Alpine Sportwagen vor 60 Jahren auch nicht im Schatten der zeitgleich gezeigten „göttlichen“ Gallierin Citroën DS. Der findige Renault-Händler und Automobilbauer Jean Rédéle präsentierte seine ersten Alpine-Renner vom Typ A106 Mille Miles einfach als Trio, lackiert in den Farben der französischen Flagge, also blau, weiß und rot. Die im Heck platzierte Antriebstechnik der Alpine mit winzigem 747-cm³-Vierzylinder stammte ebenso wie die Bodengruppe vom Renault 4 CV; gute Fahrleistungen der formschönen, kleinen Sportcoupés garantierte dagegen eine leichtgewichtige und damals revolutionäre Kunststoffkarosserie.

Schon bei der Mille Miglia 1956 demonstrierte Rennfahrer Rédéle das Motorsportpotential der Streetracer: Trotz unwetterartige Regenfällen fuhr die Alpine mit einem sensationellen Durchschnitt von 110 km/h den sieggewohnten italienischen Abarth davon. Frankreich hatte einen neuen schnellen Superstar, genau rechtzeitig, um die Grande Nation über den Untergang vieler glorreicher Sportwagen-Marken wie Bugatti zu trösten. Für Alpine war das nur der Anfang. Rédéle gelang es, durch in verführerische Formen verpackte Modelle mit reinrassiger Renntechnik auch die Reichen und Schönen zu begeistern und sogar Abfangjäger für die Autobahnpolizei zu stellen. Vor allem aber errang er ruhmreiche Rallye- und Rundstreckensiege, schließlich erinnert schon der Name Alpine an Rédéles größten Erfolg beim Coupe des Alpes. Dennoch übernahm Anfang der 1970er-Jahre Renault die Markenführung und 1995 kam sogar ein vorläufiges Aus. Nun aber ist die Neustartampel geschaltet, denn Renault verspricht für 2016 eine Renaissance der Seriensportler.

Einen Ausblick auf Designelemente der kommenden Alpine gab bereits die in diesem Frühjahr gezeigte Studie Alpine Vision Gran Turismo. Ein 320 km/h schnelles Concept Car, das zur Feier des 60. Geburtstages der Sportmanufaktur aus Dieppe auch in virtueller Form vorfuhr – als kostenloser Download für Playstation-Fans. Gleich ob real oder virtuell, immer zitiert die Alpine Vision Gran Turismo die Markenhistorie in Form der fast perfekt proportionierten Kult-Sportwagen A110 aus den 1960er- und 1970er-Jahren sowie der erfolgreichen Le-Mans-Sportprototypen A210 und A220. Bevor Jean Rédéle diese ultraflachen Evolutionsstufen seines ursprünglichen Plastikbombers zünden konnte, hatte der mit 24 Jahren jüngste Renault-Händler im Nachkriegsfrankreich aber sein neues Handwerk als Autobauer erst einmal von der Pike auf lernen müssen.

Wie schwierig die Autoproduktion sein konnte, zeigten zahllose Kleinserienhersteller, die in den 1950er Jahren ebenso überraschend untergingen wie sie zuvor aufgetaucht waren. Und an der Fertigung der neuartigen GFK-Karosserien scheiterten damals sogar Volumenmarken wie Volvo (Sportwagen P 1900). Rédéle jedoch erarbeitete sich rasch einen hervorragenden Ruf und konnte schon 1960 die Auslieferung seines 650. Serienfahrzeugs feiern. Wichtig war ihm dabei von Anfang an die enge Verbindung zum Staatskonzern Renault, dessen Vertriebsnetz und Technik er nutzte.

So erfolgte der Ausbau des Alpine-Programms parallel zu den Veränderungen in der Renault-Palette: Auf die A106 als Coupé (1955) und Cabrio (1957) mit Renault-4-CV-Technik folgte die A108 (1957) mit Komponenten der Renault Dauphine, das 2+2-sitzige A108 Coupé mit eigenständig entwickeltem Zentralrohrrahmen (1959/60) und 1962 die A110 (1962) mit Antriebstechnik aus der Heckmotorlimousine Renault 8. „Über diese Alpine wird die Welt noch staunen“, erklärte der französische Sportauto-Spezialist Amedée Gordini, der für die A110 ein optionales 1,3-Liter-81-kW/110-PS-Triebwerk zulieferte. Tatsächlich sollte sich Gordinis Prognose bewahrheiten, sogar im Vergleich zum Porsche 911. An Stückzahlen konnte es die A110 zwar nie mit dem 1963 lancierten deutschen Heckmotor-Jahrhundertsportwagen aufnehmen, entstanden doch bis 1977 gerade einmal 7.500 Alpine A110. Aber die zierliche Französin wurde ebenso wie der Zuffenhausener schon zu Lebzeiten Legende. Eine 630 bis 710 Kilogramm leichte und bei offenem Auspuff soundgewaltige Fahrmaschine, die in finaler Ausbaustufe mit frisiertem 1600-S-Vierzylinder aus dem Renault 16 noch schneller war als der Porsche 911 S mit scharfem Sechszylinder-Boxer. So jedenfalls das Urteil der Fachpresse, die 1972 der Alpine 7,3 Sekunden für den Sprint auf Tempo 100 attestierte.

Überdies war die enge und laute Berlinette 1600 S mit Preisen von 23.000 Mark immerhin ein Drittel billiger als der 911 S, leider aber doch zu kostspielig für große Stückzahlen. Ein Schicksal, dass die in Lizenz gefertigten Alpine für aufstrebende Autoländer wie Brasilien (Alpine Interlagos), Bulgarien (Bulgaralpine), Mexiko und Spanien ebenso teilten, wie das zwischen 1963 und 1969 produzierte 2+2-sitzige Coupé GT 4. Dafür gelang Alpine-Gründer Rédéle mit der A110 seine vielleicht verblüffendste sportliche Sensation: Im Jahr 1973 – Renault hatte die Sportwagenmarke gerade übernommen – errang die Equipe bleue die Rallye-Weltmeisterschaft vor Porsche oder Lancia. Obwohl Alpine auch bei vielen Formel- und Markenmeisterschaften die französischen Farben strahlen ließ, gilt der erste Rallye-WM-Titel bis heute als glanzvoller Zenit der Motorsportkarriere.

Daran vermochte auch die futuristisch gezeichnete A110-Nachfolgerin A310 nicht anzuknüpfen. Als eher kantiger Keil mit breiter Sechs-Scheinwerferfront provozierte die A310 bei ihrer Präsentation im Jahr 1971 alle traditionellen Alpine-Käufer. Zu beachtlichen Stückzahlen brachte es diese Französin erst ab 1977 durch ein 110 kW/150 PS leistendes 2,7-Liter-V6-Triebwerk. Mit mehr Gewicht und mehr Luxus widersprach die V6-Alpine zwar der ursprünglichen Philosophie Rédélés, aber durch die ebenfalls 1977 erfolgte Einstellung der A110 zwang sie viele Markenfans zur Umstellung. Dabei war dies nur der erste Schritt auf dem Weg in das Segment der Luxussportler, den Alpine mit der Einführung von V6 GT und V6 Turbo im Jahr 1985 und der finalen A610 von 1991 verfolgte.

Die bis zu 184 kW/250 starken 3,0-Liter-Biturbo-V6 fegten jetzt mit 265 km/h über die Autobahn und boten erstmals einen Langstreckenkomfort, wie ihn Vielfahrer verlangten. Verkaufszahlen in bislang nicht für möglich gehaltener Höhe wurden so erreicht, der Durchbruch zum ertragreichen Volumensportler gelang den zuletzt vom Kultdesigner Robert Opron geformten Nobelrennern aus der normannischen Plastik-Produktion aber trotz aller Anstrengungen nicht. Am Ende konnten nicht einmal das ebenfalls in Dieppe gefertigte Massenmodell Renault 5 Alpine und der Mittelmotor-Renner Renault 5 Turbo den Schlussstrich unter dem Kapitel Alpine abwenden. So kam es, dass die Alpine-Mitarbeiter ab 1995 vor allem familienfreundliche Renault Espace statt Sportwagen bauten. Umso größer war der Jubel, als ab 2012 erste Prototypen von einer Rückkehr der blau-weiß-roten Renner kündeten.

Text: Spot Press Services/Wolfram Nickel
Fotos: Renault/SP-X

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