Liebe Leserin!
Lieber Leser!

Eigentlich bin ich nicht das, was man im Allgemeinen einen Morgenmuffel nennt. Früh aus den Federn zu steigen, macht mir nichts aus, zumal man dann die ersten Dinge des neuen Tages mit Muße und nicht schon unter dem unbarmherzigen Diktat des Sekundenzeigers erledigen kann. Wenn ich nicht gerade beruflich unterwegs auf Terminen bin, bevorzuge ich in der Regel eine eher lässige Kleidung für den Büro-Job. Was, ehrlich gesagt, sehr wohl wollend formuliert ist. Denn oft müssen noch die von leichtem „Hochwasser“ gezeichneten Jeans vom Vortag wieder als Beinkleid herhalten, weil sie zufällig als Erste greifbar waren. Als letzter Schrei der Haute Couture, das gebe ich gerne zu, würden die Dinger bei der Mailänder Modewoche auch nicht gerade durchgehen.

Derlei Ignoranz stilvoller Alltags-Erscheinung hat mich aber bis heute zumindest davor bewahrt, einen fatalen Fehler beim korrekten Binden eines makellosen doppelten Windsor-Knotens zu begehen. Was andererseits auch sehr bedauerlich ist, wird mir aufgrund dieser Unkenntnis doch der Zugang zu einer exklusiven Berufssparte auf immer und ewig verwehrt bleiben. Denn nur, wer mit eben jenem Hochadel-Utensil des männlichen Halsschmucks vertraut ist, verfügt über eine der notwendigen Grund-Eigenschaften, um sein Leben als Chauffeur eines Rolls-Royce fristen zu dürfen.

Genau das geht aus dem „Exerzierplan“ eines eintägigen „White-Gloves-Trainings“ („Weißes-Handschuh-Training“) hervor, dass die britische Nobelmarke seit Kurzem anbietet, um die Wagenlenker ihrer Herrschaften angemessen zu kutschieren. Mit Kunst und Können, ein solches (Snob)-Mobil zu fahren, oder vielleicht sogar ein Rad an einem „Silver Ghost“ wechseln zu können, haben diese Verhaltensregeln tatsächlich absolut nichts zu tun.
Nein, es geht einzig und allein um das korrekte Auftreten des Probanden, wie ein Kollege, der dieses Training am eigenen Leibe erfahren durfte, sehr anschaulich beschrieb. Es beginnt schon mit dem Zeitpunkt des Erscheinens an der edlen Karosse: Wenn der Chauffeur pünktlich ist, ist er schon zu spät. Er sollte drei Minuten früher parat stehen, erläutert der Ausbilder. Denn nur so könne er sicher sein, den Herrschaften den Schlag mit der weiß behandschuhten rechten Hand auch dann korrekt öffnen zu können, wenn diese vielleicht etwas früher als vereinbart einträfen.

Nein, keine Bange, ich möchte jetzt nicht das gesamte Pflichtenheft eines potenziellen Rolls-Royce-Chauffeurs aufzählen. Nur auf einen Hinweis möchte ich doch eingehen, wird doch hier Ehre zuteil, wem Ehre gebührt. Nach dem Verstauen der Koffer im Gepäckabteil hat der Fahrer auf dem Weg zum Steuer einen bestimmten Weg einzuhalten. „Er schreitet“, so der zitierte Ausbilder Andrew McCann, „nur entlang des Hecks. Und zwar aus Respekt vor der Spirit-of-Ecstasy-Statue, die sich auf der Motorhaube eines jeden Rolls Royce befindet.“

Sie meinen jetzt (wieder einmal): „Die spinnen, die Engländer?“ Nun, ich möchte nicht versuchen, Sie von diesem gewonnenen Meinungsbild abzubringen. Ich weiß nur eines: In der Regel achte ich nicht darauf, ob ich um das Heck oder die Motorhaube eines Fahrzeugs schreite, bevor ich die Tür ins Schloss fallen lasse. Es ist mir eigentlich völlig egal. Vielleicht sollte ich stattdessen eher mal darauf achten, eventuelle „Hochwasser-Hosen“ aus dem Verkehr zu ziehen – statt mir über den Weg zur Fahrertür Gedanken zu machen.
Wenn ich schon keinen doppelten Windsor-Krawattenkonten binden kann!

Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende.

Ihr Jürgen C. Braun

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