Sie sind so begehrt, dass ihre Zahl kontinuierlich zunimmt. Allein im letzten Jahr stieg die Zahl der mindestens 30 Jahre alten Klassiker mit H-Kennzeichen um rund zehn Prozent auf insgesamt über 254.000 Fahrzeuge. Weiteres Wachstum in den nächsten Jahren ist zu erwarten, sind die Autos seit Mitte der 1980er Jahre doch deutlich resistenter gegen Rost als jemals zuvor. Außerdem gab es 1984 in Deutschland die ersten Großserienmodelle mit geregeltem Drei-Wege-Katalysator. Wichtige Voraussetzung, um die wenig später einsetzenden Verschrottungswellen zu überleben, die fast alle dann strafsteuerbelegten und gleichzeitig gesellschaftlich geächteten Fahrzeuge ohne Katalysator ereilte.
Einen explosionsartigen Anstieg von Autos mit historischen Kennzeichen wird es aber wohl auch künftig nicht geben, wie ein Blick in die Statistiken und Gebrauchtwagenportale verrät. Nur 0,6 Prozent des gesamten deutschen Pkw-Bestands kennzeichnet bisher das H, unter den Top Ten der beliebtesten Modelle sind allein sieben Mercedes. Prestigearme Alltagsmodelle enden bis heute viel schneller beim Verschrotter als die meisten Nobelmarken. Ausnahmen sind nur kultige Charaktertypen wie etwa der Käfer als beständiger König unter den H-Kennzeichen-Klassikern. Nicht immer aber erfüllen Kleinwagen und Kompakte die strengen Vorgaben für die Erteilung eines H-Kennzeichens. Neben dem Fahrzeugalter ist dafür ein Gutachten erforderlich, das „Bastelbuden“ und nur durch nicht zeitgenössische Improvisationen am Leben gehaltene Langstreckenläufer ausschließt. Das Schicksal sogar von nicht wenigen Golf II GTI und GTD oder Opel Kadett E, die alle 2014 ihren 30.Geburtstag feiern. So kommt es, dass bei Oldtimer-Rallyes rar gewordene Massenmodelle von einst oft mehr Beifall erhalten als manche hochkarätige Pretiosen.
Der Sprung in die Zeitmaschine zurück ins Jahr 1984 zeigt: Es war ein Annum noch nie dagewesener automobiler Vielfalt. Zumindest, was die Auswahl an Motoren und Antriebskonzepten betrifft. Neben Vorder- und Hinterradantrieb gab es immer mehr 4×4-Typen und Dieseltriebwerke konkurrierten nun in fast allen Klassen mit Benzinern. Geländegänger wie der damals neue Jeep Cherokee setzten ebenso auf sparsame Selbstzünder wie der Kleinwagenbestseller Peugeot 205 GRD oder der japanische Kraftzwerg Daihatsu Charade Turbo.
Auch die Kompakten Talbot Horizon – als 1.9 D zuständig für das letzte Aufbäumen der untergehenden Peugeot-Tochtermarke Talbot – und Volvo 360 – die erste erfolgreiche schwedische Kompaktklasse holländischer Herkunft – sowie die Limousinen Lancia Prisma, Opel Rekord – jetzt als Turbo – und der liebevoll „Baby-Benz“ genannte Mercedes 190 standen mit Dieselmotoren im Angebot. Bis auf die Marke mit Stern sind sie jedoch fast alle verschwunden. Das H-Kennzeichen hätte sie sonst dank der Pauschalsteuer von etwa 190 Euro bezahlbar gemacht und freie Fahrt in Umweltzonen ermöglicht.
Zu den Allradlern mit 30 Jahresringen zählen urige kleine Offroadklassiker wie der Suzuki SJ 413 und der Daihatsu Rocky, aber erstmals auch Limousinen, Kombis und Sportwagen aller Segmente wie Alfa 33, Audi 200, Subaru Justy, VW Passat Variant Syncro, Ford RS 200, Mitsubishi L 300 oder Honda Shuttle. Überhaupt die Vans. Sie waren die großen Unverstandenen jenes Jahres. Nachdem Honda, Mitsubishi (Space Wagon) und Nissan (Prairie) zuerst in Japan den Kombi höher und variabler zu Raumkreuzern transformiert hatten, kamen die Vans nun nach Europa – zeitgleich zum Marktstart von Chrysler Voyager und Renault Espace. Es sollte aber Jahre dauern bis sich Familien und Firmen für die neuartigen Großraumlimousinen wirklich begeisterten.
Ganz anders die Sportwagen des Jahres 1984. Mochten Umweltverbände und -behörden damals noch so nachdrücklich Tempo 100 auf Autobahnen fordern, um dem Phänomen des Waldsterbens zu begegnen, die Bundesregierung wählte einen anderen Weg und die schnellen Sportler blieben die Massenmagneten auf Messen. Allen voran gleich drei neue Ferrari: GTO, Testarossa und Mondial Cabriolet überstrahlten den Maserati Spyder und den viertürigen Maserati 425, aber auch die Klappscheinwerferkeile Toyota MR2, Mazda RX-7 Turbo, Pontiac Fiero und Reliant Scimitar. Seinen Abschied gab hierzulande der Ford Capri während der VW Scirocco als 16V zu neuer Form auffuhr und das Škoda Rapid Coupé mit ganzen 43 kW/58 PS sportliche Speerspitze der Tschechen war. Erstes modernes Kompaktklassemodell aus Osteuropa war jedoch der Lada Samara mit Motor „System Porsche“.
Welche Volumenmodelle waren die Trendsetter des Jahres 1984? Allen voran die Mercedes-Benz 200 bis 300E der Baureihe W 124, die nach einem Facelift zur ersten E-Klasse mutierte. Aber auch Frankreich, Italien, Schweden und Spanien lancierten Bestseller: Renault 5 („Der kleine Freund“ reloaded), Renault 25 (auch als Langversion), Lancia Thema (später sogar mit Ferrari-Motor), Saab 9000 (schwedische Turbopower mit Plattform des Lancia Thema), Volvo 740 (der kantigste aller Schweden) und Seat Ibiza (erste Seat-Eigenentwicklung). Eine buntes Portfolio potenzieller „H“-Anwärter, die eines eint: Die neuen Oldtimer verkörpern faszinierende Zeitgeschichte.
Text: Spot Press Services/Wolfram Nickel
Fotos: Hersteller