Charlys PS-Geflüster

Liebe Leserin!
Lieber Leser!

In ein paar Wochen ist es wieder so weit: Dann rollt die nächste „Abiturienten-Schwemme“ über das Land. Tausende von jungen Menschen, „gebrandmarkt“ mit dem „Zeugnis der Reife“ werden dann ins Leben entlassen. Wie sie darin zurechtkommen – man wird sehen, we shall see, on verra. Einige von ihnen, die aus recht betuchtem Hause kommen, haben einen unbestreitbaren Vorteil. Sie müssen – wenn sie den schon im Besitze einer Fahrlizenz sind – sich nicht immer wieder mal Papis oder Mamis Autos ausborgen, Nein, sie erhalten quasi als Morgengabe zum Eintritt in gewonnene persönliche Freiheit ihr erste Auto. Ein zünftiges, standesgemäßes Abi-Geschenk eben.

Was da so alles an den Nachwuchs weiter gegeben wird, richtet sich einmal nach dem Geldbeutel der Schenkenden, aber auch nach deren Verantwortungsbewusstsein. Es muss ja nicht gerade zum Einstand ein Erzeugnis aus der Kategorie „tief, breit, stark, schwarz“ mit reichlich Platz fürs „Böhse-Onkelz“-Plakat sein. Ich erinnere mich noch gut an mein erstes Fahrzeug. Einen 13 Jahre alten VW Käfer Baujahr 1952, den ich mir in den Schulfreien „auf dem Bau“ selbst zusammen gespart hatte. Entsprechend pfleglich und vorsichtig ging man mit dem guten Teil dann auch um.

Das geht auch anders. Zum Beispiel wird derlei Gedankengut dem neunjährigen (!) Knaben eines superreichen indischen Wirtschafts-Emporkömmlings sicher völlig fremd sein. Der junge Mann erhielt, so die Nachrichten-Agentur AP, zu seinem neunten Geburtstag von den Eltern einen Ferrari F 430. Ja, Sie lesen richtig, einen Achtzylinder mit 4,3 Liter Hubraum und 490 PS, ein regelrechtes Geschoss mit einem klassischen Mittelmotor vor der Hinterachse. „Natürlich“ durfte der junge Mann das gute Teil auch fahren. Mit dem siebenjährigen Bruder auf dem Beifahrersitz. Und die stolze Mama hat alles gefilmt und ins Internet gestellt.

Die Aufregung über die Tatsache, dass da ein Kind, das kaum übers Lenkrad hinweg schauen kann, einen reinrassigen Sportwagen mit fast 500 PS über die Straßen pilotiert, versteht die Familie nicht. Immerhin, so der stolze Herr Papa, fahre der Junior schon seit dem fünften Jahr Auto und sei ein „sehr sicherer Fahrer“. Er habe auch den Lamborghini und den Bentley der Familie schon ohne Probleme im Verkehrsgewühl bewegt. Stolze 18 Fahrzeuge dieses Genres nennt das Familien-Oberhaupt, das sein Geld in der Tabakwaren-Industrie gemacht haben soll, sein eigen.

Dass der stolze Herr Papa nun in der Polizei-Station seiner Heimatstadt vorstellig werden soll, versteht er nun gar nicht. Man wolle seinem Sohn, so sagte er der AP, nur „sein Geburtstagsgeschenk vermiesen.“ Schließlich habe sich der Junge so sehr darauf gefreut.

Das ließ mich nachdenken über die Frage: Wie war das eigentlich, als ich neun Jahre lat war? Ich erinnere mich einigermaßen sicher, ein Auto-Quartett zum Geburtstag bekommen zu haben. Sie wissen schon, dieses Kartenspiel, dessen Faszination wir alle einmal erlegen waren. Ich habe mich, das versichere ich Ihnen mit Brief und Siegel, nicht weniger darüber gefreut, als der Knabe von neun Jahren über seinen Ferrari. Die Frage sei erlaubt: Worauf, und nicht nur materiell, soll sich denn dieses arme reiche Kind im weiteren Verlauf seines Lebens noch freuen können?

Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende.

Ihr Jürgen C. Braun

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