„Carmen“ als harter Job

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Hoch über dem Toten Meer liegt ein Ort, auf dem die Juden im Jahr 70 nach Christus gegen den Ansturm der römischen Besatzung drei Jahre ausharrten und schließlich verloren. Statt sich zu ergeben, entschieden sich 1.000 Menschen für den Freitod.

Mayra Erez (70), ein lebendiges „Geschichtslexikon“ (Guide des Staatlichen Israelischen Verkehrsbüros), schilderte die äußerst dramatische Entwicklung so: „Erst entschieden sich die Familienväter dafür, sich den römischen Soldaten nicht zu unterwerfen. Sie gingen nach Hause und töteten Frau und Kinder. Mit einem Losentscheid wurde anschließend die gegenseitige Tötung der Familienväter ermittelt und der letzte nahm sich selbst das Leben. Deshalb ist die Wüstenfestung Masada eines der größten Symbole Israels.

Heute erklimmen Reisende den über 400 Meter hohen Berg im Morgengrauen, um den Sonnenaufgang über der bizarren Landschaft zu bewundern. Im Juni 2012 erwartet Besucher aber noch ein ganz besonders Erlebnis. Vor der Felsenkulisse Masadas begeistert Freude klassischer Musik große Oper. Auf einer aufgebauten Oper(n)-Air-Bühne mitten in der judäischen Wüste, am tiefsten Punkt der Erde, wird Bizets „Carmen“ aufgeführt.

Masada erzählt vom israelischen Heldentum über stärkere Kräfte, der Entschlossenheit, der Leidenschaft und wie man sich seinen Lebensunterhalt im gnadenlosen Wüstenklima erkämpft. Die Inszenierung von Carmen in Masada der Israeli Opera entstand aus diesen Elementen. 2.500 Menschen arbeiten für sechs Monate an der Verwirklichung der aufwendigen Theater-Produktion in der Wüste. William Orlandi gestaltete auf 3.500 Quadratmeter Grundfläche vor dem knapp zwei Kilometer entfernten Masada-Felsen ein Andalusien des 19. Jahrhunderts.

Zum ersten Mal wurde „Carmen“ an der Opéra-Comique in Paris am 3. März 1875 gezeigt. Anfangs war „Carmen“ ein Flop. Die Darstellung des proletarischen Lebens, Unmoral und Gesetzlosigkeit und die tragische Art der Geschichte war zuviel für den Opern-Börsengang dieser Zeit. Bizet starb mitten in einer Aufführung und erlebte so den Erfolg der Oper nicht mehr mit.

Bis kurz vor der Premiere warb „The Israeli Opera“ auf ihrer Website damit, dass die Bizet-Oper unter der Leitung des Dirigenten Daniel Oren (Bayerische Staatsoper München) und dem israelischen Symphonieorchester Rishon LeZion in einer dreiereinhalbstündigen Sonderproduktion unter der Regie von Giancarlo del Monaco, Sohn des legendären Opersängers Mario del Monaco inzeniert. „Carmen“ sollte Anita Rachvelishvili singen und spielen, die erst 2009/2010 am Teatro alla Scala in Mailand zum Weltstar wurde. Die geborene Georgierin sagte kurzfristig ab.

Dramatisch ging es auch vor und während der Premiere, der auch der israelische Ministerpräsident Shimon Peres die Ehre gab, auf der Bühne zu. Nach einem bösen Sandsturm bei den Proben, zwei Tage vor der Premiere, sagte Anna Malavasi, eine italienische Mezzosopranistin, sie fühle sich nicht wohl und wolle ihre Stimme bewahren.

Die zweite Carmen, Nancy Fabiola Herrera, die in Venezuela von einer kanarischen Mutter geboren wurde und „Carmen“ schon in New York, Tokio, London und Los Angeles und Berlin sang, versagte vor dem Schlussakt die Stimme. Schon bei der Pressekonferenz, bei der Herrera wenige Stunden vor der Premiere präsent war, meinte die venezolanisch-US-amerikanische Opersängerin über die Bühne mitten in der Wüste: „Jede Produktion hat natürlich seine eigenen Herausforderungen und es ist staubig und windig.“ Vergeblich griff der Weltstar während der Aufführung im ersten (Platz in Sevilla) und zweiten Akt (Taverne von Lilas Pastia) – so wie 7.500 Zuschauer/innen – zur Wasserflasche. Vergebens.

Damit hatte die beste israelische Mezzosopranistin Naama Goldman die Chance ihres Lebens und nutzte sie, obwohl sie erst am Tag der Premiere erfuhr, dass sie im Falle eines Falles die Titelrolle spielen wird. Aufgrund der zermürbenden Vier-Stunden-Aufführung gibt es zwei Besetzungen für die Hauptrollen. Mit großem Beifall der 7.500 Premieren-Besucher wurde das Ensemble und in erster Linie „Carmen No. 4“ Naama Goldman für die eindrucksvolle Bühnenshow belohnt.

Bei der Pressekonferenz sagte Hanna Munitz, die Generaldirektorin der Israeli Opera, zuvor, dass es die größte kulturelle Produktion des Landes sei, größer als die meisten Opernproduktionen der Welt. 50.000 Opernbesucher, davon 3.500 internationale, werden im extra geschaffenen Amphitheater erwartet.

Da die Oper in einem archäolgisch bedeutsamen Bereich aufgeführt wird, muss das gesamte Operndorf jedes Jahr (2010 Nabucco, 2011 Aida) komplett zerlegt werden. Für den jährlichen Wiederaufbau arbeiten 2.500 Menschen für sechs Monate und dieses Jahr benötigte der Bühnenbildner 120 Lastwagen mit Sand für die Berge und Hügel. Außerdem sind bei jeder Vorstellung 800 Künstler und Techniker im Einsatz, ohne die unbekannte Zahl der Sicherheitsbeamten, die sich unauffällig im Publikum bewegen. Mit der Oper „Carmen“ hat sich die Israeli Opera erstmals zu Region und Landesgeschichte Israels entfernt. Israels einzigartige Wüstenlandschaft zwischen dem Toten Meer und der steil aufragenden Felswand von Masada, einer wichtigen Touristenattraktion ist nach Meinung der Generaldirektorin der Israelischen Oper, Hanna Munitz, trotz langer Anfahrtswege und großen logistischen Herausforderungen die optimale Bühnenkulisse.

Im kommenden Jahr wird vom 6. bis 10. Juni Puccinis „Turandot“ aufgeführt, ebenfalls von Daniel Oren dirigiert. Regisseur Michal Znaniecki will sein Projekt noch ehrgeiziger gestalten: Geplant sind hunderte von Terrakotta-Soldaten und noch mehr Mitwirkende als dieses Jahr. Was Wunder, dass die Eintrittskarten zwischen 350 und 1.300 NIS (neue israelische Schekel – Umtauschkurs ein Euro – fünf Schekel) kosten.

Weil die Karten schnell vergriffen sind, kann mich ab sofort unter
www.turandot-at-masada.com
und
www.goisrael.de
buchen.

Text und Fotos: MN Infotext/Ludwig Mario Niedermeier

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