Selbst das simple Ausstreuen von kristallinem Natriumchlorid (Salz) hat im Laufe der Jahrzehnte Mutationen über sich ergehen lassen müssen. Wer immer heute die Verkehrswege im Winter befahrbar halten muss, profitiert von diesen Entwicklungen. Anlässlich eines Seminars des VKS (Verband der Kali- und Salzindustrie e. V.) konnten zwei Referenten gewonnen werden, die über die wichtigsten Fortschritte berichteten: Dipl. Ing. Ludwig Niebrügge aus Nordrhein-Westfalen und Dipl. Ing. Robert Drieß aus Berlin. Jeder hatte dabei seinen eigenen Themenkoffer dabei. Niebrügge stellte das moderne Flüssigstreuen in seinen Fokus, Drieß hingegen das Thema Streckenbezogene Straßenzustands-Prognosen, wobei er den kommunalen/städtischen Winterdienst umriss.
Die Bundeshauptsstadt Berlin ist wegen ihrer riesigen Flächenausdehnung ein besonders anspruchsvolles Sujet. Folglich wurde die Gesamtfläche in 5 Regionalzentren aufgeteilt. Die sind inzwischen so gut untereinander vernetzt, dass eine enge Korrespondenz und Abstimmung vorgenommen werden kann. Das ist insofern wichtig, als durchaus in den östlichen Stadtteilen noch die Sonne auf trockene Straßen brennt, während 50 Kilometer weiter westlich, zum Beispiel in Reinickendorf, bereits alles unter einer geschlossenen Schneedecke liegt. Da gilt es, die Einsätze von über 800 Spezialfahrzeugen und von über 2.000 Mitarbeitern minuziös zu planen und zu timen. Ein durchaus seltenes, dennoch positives Kuriosum am Rande: In Berlin ist das Streuen von Gehwegen und privaten Flächen mit Salz strikt verboten und wird mit Bußgeld geahndet. Auch beim städtischen Amt geht man mit Streusalz äußerst zurückhaltend um. Oberste Priorität haben Straßenkreuzungen, Fußgänger-Überwege, Haltestellen des ÖPNV und heikle Brücken mit fast schon einem Alleinstellungsmerkmal: Hier darf Salz in feuchter oder flüssiger Konsistenz ausgebracht werden. Ansonsten, so Drieß, werde Hauptgewicht auf die Räumung gelegt. Eine Philosophie, die durchaus auch als pädagogisches Instrument zur Verinnerlichung bei den Autofahrern praktiziert werden sollte: Nur mit Winterreifen und entsprechend zurückhaltender Fahrweise ist ein (halbwegs) sicheres Miteinander und Weiterkommen zu realisieren. Natürlich sei diese Art der Winterbezwingung nur mit sensiblen Übertragungssensoren und Digitaler Informationstechnik der Ist- Daten zu bewerkstelligen. Und Road-Mapping sowie Thermal-Mapping seien inzwischen integrierte Systeme.
Niebrügge's Thema zielt in einen anderen Bereich: Er bevorzugt unter den derzeitigen Abwehr-Technologien ganz klar das Flüssigstreuen. Dabei wird eine entsprechend aufbereitete Lauge aus dem einen Behälter auf dem Lkw mit separat gebunkertem kristallinem Salz vermischt. Das Verhältnis beider Komponenten kann, je nach Detailmeldung, von Sensoren über der Fahrbahn, vom Fahrer in einem Computer an Bord berechnet werden. Somit lassen sich Optimierungen in Verbrauch und Umweltbelastung vornehmen. Die andere Philosophie, ein Credo quasi, die aber mit der ersten verbunden werden kann, heißt bei Niebrügge Präventiver Winterdienst. Also auch hier schon detaillierte Pläne ausgearbeitet vor sich zu haben nach dem Motto Was wäre wenn …. Gemeint sind vorbeugende Maßnahmen für den Einsatz bei Reif-Eisglätte, Glatteis (Eisregen) und Schneefall. Zu berücksichtigen dabei sind: Steigungs- und Gefällstrecken, Anteil an Lkw, Sichtweiten, Arbeitsstellen (Baustellen) und Fahrbahnzustände. Gebot der jeweiligen Stunde der Entscheidung: Die Mobilität ist für die Volkswirtschaft unerlässlich, die Einhaltung der Verkehrskapazität einer Straße sei ein Muss. Weitere Parameter seiner Arbeit sind: die Einhaltung einer möglichst geringen Umweltbelastung u n d eine hohe Kosteneffizienz. Das sind hohe Ansprüche, die bisweilen im Alltag für Sorgenfalten verantwortlich sind bei den Entscheidungsträgern. Was da an Berechnungen, Planungen, Einsatzplänen und Kostenabgleichen gesamthaft auf uns zukommt, ist schon gewaltig.
Die aktuellen Planungen für den Salzeinkauf liegen bundesweit, alleine für die etwa 12.600 Kilometer Autobahnen, bei 440.000 Tonnen. Da sind die 60 % an Einsparungen durch Hochtechnologie bereits enthalten. Das bedeutet in Klarschrift: 88.000 Tonnen konnten so bereits für den aktuellen Winter eingespart werden.Natürlich nur, wenn sich der Winter so aufführt, wie er voraus berechnet worden ist. Väterchen Frost hat sich oft genug in der Vergangenheit als schäbig genug erwiesen, den Entscheidungsträgern einen fiesen Strich durch ihre Rechnung zu machen, nach oben oder nach unten …
Text: Frank Nüssel/CineMot
Bilder: VKS