Jürgen C. Braun: Mein Tagebuch der Tour de France (4)

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Liebe Leserin, liebe Leser,

die Tour de France ist in jedem Jahr ein Ereignis, das weltweit seinesgleichen sucht. Mittlerweile wird von der größten jährlich Freiluft-Veranstaltung der Welt in 194 Länder der Welt live via Fernsehen und Hörfunk übertragen. Von Zeitschriften, Fachmagazinen und diversen Internet-Veröffentlichungen ganz zu schweigen. Für die Franzosen aber gilt im Drei-Wochen-Rhythmus der 14. Juli, der Nationalfeiertag der „Grande Nation“, als das Ereignis während der Tour schlechthin.

Der Franzose neigt zum (übertriebenen?) Patriotismus, weshalb der Tag, dem des Sturms auf die Bastille am 14. Juli 1789 gedacht wird, ein absolutes kalendarisches Heiligtum ist. Am „quatorze juillet“ stehen in Frankreich alle Räder des Alltags still. La „fete Nationale“ eint Nationalisten, Linke, Separatisten wie die Le-Pen-Anhänger quer durch das Land. In kaum einem anderen Land der Welt, China vielleicht einmal ausgenommen, werden an einem einzigen Tag im Jahr dermaßen viele Leuchtraketen in die Luft geschossen. „Le feu artificiel“, das Feuerwerk zu Ehren des Vaterlands ist fast überall genau so Bestandteil dieses einzigartigen Tages wie die legendäre Rundfahrt.

Wer als Franzose im Tross der 198 Fahrer, die jedes Mal die „Große Schleife“ in Angriff nehmen, von seinem Teamchef die Erlaubnis erhält, etwas auf eigene Faust versuchen zu dürfen, der wird alles versuchen und daran setzen, in die Geschichte des Radsports und seines Heimatlandes gleichzeitig einzugehen. Einer der Ihren, der am 14. Juli eine Etappe von „le Tour“ für sich entschieden hat und zu dessen Ehren bei der Siegerehrung ausgerechnet an diesem Tag die Marseillaise intoniert wird: Ein solcher Athlet steht Zeit seines Lebens in den Annalen von Frankreichs größtem Sportereignis.

Für einen war der Donnerstag dieser Woche, der 14. Juli, deshalb auch ein ganz besonderer persönlicher Tag. Der Elsässer Thomas Voeckler fuhr im Gelben Trikot des Gesamtführenden durch das Fahrerfeld in die Pyrenäen. Stundenlang durch ein Spalier seiner Landsleute, die an diesem Tage regelrecht „ausflippen“. Für den Mann aus dem Elsass, jener Region, die von den vielen Kriegen und Grenz-Streitigkeiten zwischen Deutschland und Frankreich am meisten gebeutelt wurde, ein Tag, den er nie vergessen wird.

Nur fünfzehn Mal hat in der mittlerweile 108-jährigen Geschichte der Tour ein Franzose eine Etappe des berühmtesten Radrennens der Welt an diesem Tag gewinnen können. Der Letzte, dem dies gelang, war David Moncoutié im Jahr 2005, der unter dem frenetischen Jubel seiner Landesleute in Digne-les-Bains reüssierte. Auch deshalb war Thomas Voeckler am 14. Juli 2011 ein ganz besonderer „Held für einen Tag.“

Text und Fotos: Jürgen C. Braun

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