Noch gibt es weder Fotos vom Nachfolger des Lamborghini Murciélago noch überhaupt einen Namen. Doch klar ist jetzt zumindest, wie das neue Spitzenmodell der Marke angetrieben wird: Von einem komplett neuentwickelten 6,5-Liter-V12-Motor, der auf die interne Bezeichnung L539 hört und mit dem Vorgängermotor namens L537 nur noch den Hubraum gemein hat.
Zwölf Zylinder und ein Bankwinkel von 60 Grad waren nach Aussage von Entwicklungschef Maurizion Reggiani die einzige Vorgabe. Abgesehen davon begann man mit einem weißen Blatt Papier. Das Ergebnis: Ein mit einem Bohrungs/Hub-Verhältnis von 95 zu 76,4 Millimeter kurzhubiger ausgelegter Motor, der 515 kW/700 PS bei 8.250 U/min leistet und sein maximales Drehmoment von 690 Nm bei 5.500 U/min erreicht. Die Drehmomentkurve ist jetzt deutlich fülliger als beim Vorgängermodell. Damit dürfte der neue V12 auch subjektiv den 5,2-Liter-V10 im Gallardo in den Schatten stellen. Der bisherige V12-Motor brauchte höhere Drehzahlen, um seinen kleinen Bruder mit den Audi-Genen zu distanzieren.
Es ist den Entwicklern gelungen, das Gewicht des Motors von 253 auf 235 Kilogramm zu senken; die Distanz vom Zentrum der Kurbelwelle bis zum tiefsten Punkt der Ölwanne wurde von 195 auf 120 Millimeter verringert. Damit lässt sich der Schwerpunkt des Fahrzeugs deutlich absenken. Eine Trockensumpfschmierung mit acht Spülpumpen sorgt für zuverlässige Ölversorgung selbst bei extremer Querbeschleunigung.
Der Verbrauch des neuen Fahrzeugs wird bei rund 17 Litern pro 100 Kilometer liegen – gut 4 Liter weniger als beim Murciélago. Von einer Turboaufladung hat Lamborghini abgesehen: Ein hochdrehender Saugmotor gehört zur DNA eines Sportwagens, postuliert Lamborghini-Chef Stephan Winkelmann. Tatsächlich hat Lamborghini – im Gegensatz etwa zu Ferrari und BMW – noch nie einen zwangsbeatmeten Sportwagen auf die Räder gestellt.
Die 700 PS werden über ein Haldex-4-basiertes System auf alle vier Räder gebracht, oder auch nur auf die Hinterräder. Die Kraftverteilung nach vorn und hinten variiert zwischen einem Verhältnis von 0/100 bis 60/40.
Die bisher serienmäßige Sechsgang-Schaltung mit offener Schaltkulisse gehört der Vergangenheit an; das bislang verwendete automatisierte Schaltgetriebe weicht einer völlig neuen, mit dem Getriebehersteller Graziano entwickelten Siebengang-Schaltung, die auf die Bezeichnung ISR hört – was für integrated shifting rods bzw. integrierte Schaltwellen steht. Bei diesem Getriebe verlaufen Herausnehmen eines Gangs und das Einlegen des nächsten Gangs nicht hintereinander, sondern teilweise überlappend. Damit werden die Schaltzeiten im Vergleich zum Gallardo-Getriebe um 40 Prozent reduziert, gegenüber einem Doppelkupplungsgetriebe halbieren sie sich sogar, sagt Lamborghini. Der Schaltvorgang bleibt spürbar – worauf die Besitzer dieses Autos Wert legen dürften, handelt es sich laut Hersteller doch um das emotionalste Getriebe der Welt.
Das ISR-Getriebe kann mit Paddeln manuell aktiviert oder auch ganz automatisch geschaltet werden; wie beim bisherigen E-Gear gibt es die drei Modi Strada, Sport und Corsa. Auch an die Launch Control-Funktion ist gedacht, mit der stolze Besitzer saubere Blitzstarts hinlegen können, ohne eine verbrannte Kupplung zu riskieren. Überhaupt wendet sich Lamborghini, wie auch fast alle anderen Sportwagenhersteller, jetzt nicht mehr an passionierte Selbstschalter, sondern zuvörderst an jene Kunden, denen es an Geduld, Feingefühl oder Koordinationsvermögen zu mangeln scheint. Wir möchten jedem die Möglichkeit geben, das volle Leistungsvermögen dieses Autos zu erleben, formuliert Reggiani.
Der neue Lamborghini kann sich nicht nur wegen des Antriebs sehen lassen: Das neue Auto wird einen Sprung von zwei Generationen darstellen, verspricht Lamborghini-Chef Stephan Winkelmann. Dabei soll viel Kohlefaser-Verbundmaterial eingesetzt werden, um das Gewicht abzusenken. Die Fahrzeugarchitektur ist völlig neu – der Murciélago basierte noch in weiten Teilen auf dem Diablo, der wiederum konstruktiv vom 1971 gezeigten und ab 1974 gebauten Countach abgeleitet war. Einen Namen für das neue Modell gibt es noch nicht. Spekulationen, es höre auf den Namen Jota, werden in Sant'Agata Bolognese allerdings entschieden ins Reich der Fabel verwiesen.
Text: Spot Press Services/Jens Meiners
Fotos: Lamborghini