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Walter Kohl: Wie riecht Leben? Bericht aus einer Welt ohne Gerüche. Zsolnay Verlag; 19,90 Euro.

Wie ist es, wenn man plötzlich überhaupt nichts mehr riechen kann und niemals mehr wird etwas riechen können? Walter Kohl, Jahrgang 1953, hat diese Erfahrung gemacht, nachdem sein Geruchssinn über 40 Jahre lang völlig intakt war. Verantwortlich für den Verlust war ein Unfall. Er machte eine Operation notwendig, bei der Walter Kohl zwangsläufig den Geruchssinn verlieren musste.

Niemand, der das nicht selbst erlebt, hat eine Vorstellung davon. Selbst wenn man nur für ein paar Tage stark erkältet ist oder sich nur kurz die Nase zuhält, werden immer noch Gerüche erkannt, auch wenn man das selbst ganz anders empfindet.

Entsprechend ist die Schockwirkung, die Kohls Beschreibung beim Lesen ausüben kann. Denn der Verlust zieht eine krasse Verminderung der Lebensqualität nach sich. Nicht nur Essen und Trinken sind betroffen, weil Zuspruch oder Ablehnung auch hier durch das Riechen entscheidend beeinflusst werden. Viel wichtiger ist die soziale Funktion des Geruchssinns, die erst nach dem Verlust in ihrem Ausmaß deutlich wird. Das sprichwörtliche jemanden nicht riechen können hat die Bedeutung, sich in dem Fall eben auch abgrenzen zu können von anderen. Distanz und Nähe werden in hohem Maße durch den Geruchssinn gesteuert – von uns selbst in dieser Klarheit gar nicht bemerkt. Er emfindet sich selbst, so Kohls Fazit, nunmehr als grober, gefühlloser Klotz – wohl nicht zuletzt, weil auch die Selbstwahrnehmung beeinträchtigt wird.

Die Suche nach Auswegen aus der Situation gestaltet sich als schwierig. So macht Kohl unter anderem die Erfahrung, dass sich Düfte kaum in Worte fassen lassen: Wie duften Rosen, wie riechen Oliven? So wie Rosen und Oliven eben. Wer gefragt wird, beschreibt vertraute Düfte zu allererst durch sich selbst – für den, der gefragt hat, eine absolut unzureichende Erklärung.

Vieles nehmen wir als selbstverständlich hin – auch die Fähigkeit, riechen zu können, bestimmte Speisen zu lieben, andere Gerichte wiederum nicht ausstehen zu können, Gerüche mit bestimmten Jahreszeiten zu assoziieren (Weihnachtsdüfte) oder den Luxus eines Eau de Toilette, das über Jahre hinweg seinen Platz im Badezimmerschrank behauptet. Nach der Lektüre von Wie riecht Leben erscheint genau diese Selbstverständlichkeit wie ein besonders kostbarer Luxus.

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