Nach fast zehn Jahren im Kreis der Besten hat er es endlich geschafft: Der Brite Jenson Button (29) sicherte sich am Sonntag durch einen fünften Platz im vorletzten Rennen der Saison in Sao Paulo zum ersten Mal den Titel als Formel-1-Weltmeister. Erst als der einstige Shootingstar, der vor zehn Jahren mit vielen Vorschusslorbeeren in die Formel 1 gestartet war, nur noch unter ferner liefen mitfuhr, erst als er arbeitslos schien und dann in einem privaten Rennteam, das aus der Konkursmasse des japanischen Automobil-Riesen Honda auferstanden war, Aufnahme fand, zeigte er seine große Klasse. Our Jens, wie ihn die britische Boulevard-Presse schon im ersten Jahr seiner Formel 1-Zugehörigkeit getauft hatte, brauchte lange, um zu beweisen, wozu er eigentlich immer fähig gewesen war.
Mit Beharrlichkeit, stoischer Ruhe, und einem extrem materialschonenden Fahrstil parkte er ein Auto, das es im vergangenen Jahr noch gar nicht gab, auf dem Gipfel der Formel 1: den Brawn GP, das Ergebnis des einstigen Ferrari-Superhirns Ross Brawn. Zwei Seelenverwandte hatten sich zu einer gemeinsamen Reise getroffen und gefunden: Erst die große Weltwirtschaftskrise und der konjunkturelle Einbruch seines langjährigen Arbeitgebers Honda machten Button und das neue Team paradoxerweise zu dem, was sich der Brite eigentlich schon viel früher ausgerechnet hatte: zum Weltmeister in der Formel 1 und zum Liebling der britischen Sportmassen.
Button galt in seinem ersten Formel-1-Jahr 2000 als Wunderkind des englischen Motorsports, später wurde er zum verrosteten Auslaufmodell degradiert: Seine damalige Rookie-Saison absolvierte er bei Williams, begleitet von einem enormen Medienrummel. Denn Williams war nicht irgendwer, sondern ein Schwergewicht in der Formel 1. Wer von Sir Frank Williams auserkoren worden war, Gnade vor seinen Augen und damit Aufnahme in seinem Rennstall zu finden, der durfte sich darauf etwas einbilden und auf die ganz große Karriere hoffen.
Doch das Geschäft war schnelllebig, Button fuhr zwar aggressiv und dennoch abgeklärt, ohne Kanten und Ecken, wenig spektakulär. Doch als die ganz großen Ergebnisse ausblieben, als es nicht zum ersehnten und erhofften frühen Angriff auf die Fahrerkrone reichte, musste er dem wilden kolumbianischen Draufgänger Juan Pablo Montoya, alles andere als ein Freund des eigenen Materials, Platz machen.
Danach saß er zwei magere Jahre bei Benetton und Renault aus, unterschrieb schließlich bei BAR, das nach dem Eigentümer British American Tobacco benannt war. So fuhr er mit dem Blaue-Dunst-Auto, das seit 2000 mit Honda-Motoren ausgerüstet war, 2004 auf Rang zwei in der Konstrukteurs-Wertung, sah sich selbst auch einige Male auf dem Podium wieder. Doch zu mehr reichte es nicht. Das, was Button sich eigentlich erträumt hatte, nämlich der Angriff auf den Fahrertitel, blieb ihm verwehrt. Irgendwann gehörte er dann nach einem halben Jahrzehnt bereits zum Establishment im weltweiten Zirkus von Bernie Ecclestone, ohne dass man den einstigen Kronprinzen von Ex-Champion Nigel Mansell noch als potenziellen Titelanwärter registriert hätte.
2006 in Ungarn folgte endlich der lang ersehnte erste Sieg im Honda RA 106. Doch der Erfolg sollte eine Eintagsfliege bleiben. Vorerst zumindest. Honda dümpelte weiter irgendwo im Mittelfeld der Rundraser-Tabelle umher. Button tauchte wieder unter und hinzu kam, dass die britische Yellow Press und die Motorsport-Enthusiasten auf der Insel mit wehenden Fahnen zum neuen Darling Lewis Hamilton übergegangen waren. Button war zwar noch dabei, Notiz wurde von ihm aber kaum noch genommen, wenn es um die ganz großen Schlagzeilen ging.
Bis am Sonntagabend in Brasilien mit dem Gewinn der Fahrer-Weltmeisterschaft und des Konstrukteurs-Titels eine Geschichte endete, die als modernes Märchen ihren Platz finden dürfte. Button, der in den vergangenen Jahren wie ein alternder Tennisstar durch die Szene gezogen war, profitierte zu Saisonbeginn vom großen technischen Vorsprung seines Fahrzeugs. Dessen Konstrukteure bauten den Boliden bereits frühzeitig in der vergangenen Saison nach den neuen FIA-Regularien auf, da das Team zu diesem Zeitpunkt hoffnungslos in der Konstrukteurswertung zurücklag.
Ein klarer Vorteil somit gegenüber den arrivierten Rennställen Ferrari und McLaren, die beide bis zum Schluss alle Energie in den Zweikampf um den WM-Titel steckten. Das war vor allem ein Verdienst der handelnden Personen: Neben Red-Bull-Konstrukteur Adrian Newey ist Firmenboss und Chefdenker Ross Brawn der genialste Techniker im Grand-Prix-Geschäft. Und Button entdeckte, als niemand mehr mit ihm rechnete, auf einmal die historische Chance, aus dem Stand heraus das zu erreichen, was eigentlich längst zu den Akten gelegt worden war. Den Gewinn der Fahrer-Weltmeisterschaft in der Formel 1 nämlich. Und so wurde aus dem modernen Märchen auch noch eines mit einem glücklichen Ende.
Text: Jürgen C. Braun / Fotos: Brawn GP