Eine Katastrophe, so bezeichnete die IG Metall die Schreckensmeldungen aus Osnabrück. Eine Katastrophe vor allem für die Beteiligten und ihre Familien. Für deren wirtschaftliche Zukunft und Existenzgrundlage. 1.700 Arbeitsplätze seien beim schwer angeschlagenen Fahrzeughersteller Karmann von der Streichung bedroht, hieß es am Donnerstag. Bereits im Juni hatte das Unternehmen mitgeteilt, dass es für den im Herbst 2009 auslaufenden Auftrag für das Mercedes-Benz CLK Cabriolet keinen Anschlussvertrag geben werde. 3.300 Menschen arbeiten derzeit noch für das niedersächsische Haus. Noch. Zwar hofft Karmann auf einen weiteren Aufschlussantrag in der Sparte Fahrzeugbau, doch man müsse darauf vorbereitet sein, dass Anfang 2009 das letzte Fahrzeug ausgeliefert wird, wie Karmann am Donnerstag mitteilte. Erst vor einem Jahr hatte die Geschäftsleitung die Streichung von 1.770 der damals noch 5.000 Stellen an den Standorten Rheine und Osnabrück bekannt geben müssen. Die Zeiten, in denen Karmann komplette Cabrios gebaut hat, werden infolge des Auftragsmangels wohl ad acta gelegt.
Karmann, und das ist die Geschichte hinter der Geschichte, ist nicht irgendwer in den ereignisreichen Annalen der deutschen Automobilindustrie. Hinter diesem Begriff verbergen sich viele Einzelschicksale, aber auch der Name eines Automobils, das einst als Design-Ikone für neu gewachsene Prosperität im Wirtschaftswunder-Deutschland stand: der VW Karmann Ghia. Ein Fahrzeug, dem linguale Ignoranten und sprachliche Kleinkriminelle über Jahrzehnte hinweg die einer verbalen Wehrkraftzersetzung gleich kommende Aussprache Karmandschia verpassten.
Doch egal, ob korrekte Aussprache oder alphabetischer Anschlag: Der Volkswagen Karmann Ghia ist nicht nur mit der Existenzfrage eines einstmals florierenden Privatunternehmens, sondern auch mit der Geschichte der aufblühenden deutschen Nachkriegswirtschaft verbunden. Ungewöhnliche Autos waren immer wieder die Zielscheibe ebenso ungewöhnlicher, aber meist treffender Kosenamen. Der Volvo P 1800 ES mutierte zum Schneewittchensarg, aus den offenen VW Golf oder Ford Escort wurde entweder ein Erdbeerkörbchen oder ein Henkelmann.
Und der Karmann Ghia? Hausfrauen-Porsche und Sekretärinnen-Ferrari waren die beliebtesten Ausdrücke für das Auto in Zeiten einer bundesdeutschen Nierentisch-Kultur, in der Lilo Pulver als Piroschka oder Romy Schneider als Sissi die Kinosäle füllten. Am Aussehen des Karmann Ghia wurde weder als Coupé noch als Cabriolet während der gesamten Produktionszeit von 1955 bis 1974 gefeilt oder gepfuscht. Während die stromlinienförmige Flunder bei uns durch ihre Schwachbrüstigkeit unter der Haube eher belächelt wurde (1955 waren es gerade 30 PS; 1974 immerhin schon 50), galt er in den USA durchaus als reinrassiger Sportwagen. Dort wurde er trotz seines PS-Makels gerne mit automobilen Zeitgenossen wie dem Porsche 356 oder dem Mercedes 230 SL verglichen.
Die solide Technik des VW Käfers machte den Karmann Ghia zu einem robusten und zuverlässigen Zeitgenossen. Was neben dem unveränderten Aussehen vielleicht auch eines der Geheimnise seines Erfolges war. 360.000 Coupés und 80.000 Cabriolets verließen die Produktionsbänder in knapp zwei Jahrzehnten. Angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Schreckens-Meldungen mutet dieser kleine Streifzug durch die Geschichte eines der charismatischsten deutschen Automobile fast schon wie ein unwirkliches Rührstück aus Grimms Märchen an. Die Wirklichkeit spricht jedoch leider eine andere Sprache.
Text: Jürgen C. Braun
Fotos: Bernhard Schoke/Hersteller