Eurovision Song Contest Istanbul 2004 (EMI)

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Genau 30 Jahre ist es her, dass zwei Karrieren begannen, die bis heute ohne vergleichbares Beispiel geblieben sind: Der 1974 erstmals auf die Räder gebrachte VW Golf gab einer ganzen Fahrzeug-Klasse ihren Namen – und das schwedische Quartett ABBA zeigte beim Grand Prix Eurovision de la Chanson, dass aus dem hohen Norden nicht nur kalte Temperaturen und exzellente Fischgerichte, sondern sehr wohl auch leichtgängige Pop-Songs der Extraklasse zu vermelden sind. Dem ersten Platz beim in Brighton ausgetragenen Wettbewerb folgte eine Weltkarriere, die bis heute – 22 Jahre nach dem Split der Gruppe – andauert.

Glaubt man den Buchmachern in Istanbul, so könnte am heutigen Abend der Grundstein für eine Wiederholung des ABBA-Phänomens gelegt werden. Behalten sie recht, dann geht die Trophäe nach Deutschland. Dem 22-jährigen Max – alias Maximilian Mutzke – trauen Fachleute und Fans das Zeug für eine große Karriere zu. Bei der deutschen Vorentscheidung ließ er mit 92 Prozent aller Stimmen sämtliche Mitbewerber souverän hinter sich. Zur Blütezeit des Castings und seiner zweifelhaften Resultate überzeugte der junge Mann mit einer sagenhaften Blues-und-Soul-Stimme und unspektakulärem Outfit. Reelle Musik ist (wieder) gefragt.

Waren es national neun Konkurrenten, so muss Max in Istanbul sich der fast dreifachen Zahl an Mitbewerbern stellen: 24 Solisten und Gruppen wetteifern um den Spitzenplatz. Beworben hatten sich insgesamt 36 Länder, von denen 12 dann in einem Halbfinale am 12. Mai ausschieden.

Alle 36 Bewerber können auf diesem Sampler nachgehört werden. Und schon das poppige Cover und der neue Name des Wettbewerbs – Eurovision Song Contest – zeigt die Richtung. Moderner soll es zugehen, peppiger und aktueller. Böse Zungen behaupten, dass, um dieses Ziel zu erreichen, auch der deutschen Vorentscheidung ein echtes Aktualitäts-Siegel verordnet wurde – damit ein erfolgreicher Eurovisions-Komponist wenigstens einmal nicht zum Zuge komme. (Der ist ein konsequenter Verfechter des ganz konventionellen Schlagers und zeichnet jetzt zumindest als Produzent für den maltesischen Beitrag verantwortlich).

Erfolge hin, Eurovisions-Erfahrung her – 2004 ist der Schlager auf der Wettbewerbsbühne fast tabu. Dafür ist von poppig über trendy bis schrill so ziemlich alles vertreten. Die Teilnahme der ehemaligen Ostblock-Staaten hat dem Wettbewerb in den letzten Jahren übrigens nur gut getan: Viele vorderen Plätze sprechen für sich.

Obwohl kein Schlager-Rennen mehr (und auch kein Chansonwettbewerb, wie beim Start 1956 angedacht), ist der diesjährige Eurovision Song Contest wohl der europäischste. Und genau darin trägt er, wie auch dieser Sampler zeigt, dem Gedanken Rechnung, der ihn vor fast 50 Jahren aus der Taufe hob.

Schön wär's ja, würden die Buchmacher Recht behalten: Der einzige Grand-Prix-Sieg mit vielen Germany 12 points-Wertungen liegt immerhin schon 22 Jahre zurück. Da war Max, der heuer an den Start geht, gerade mal sechs Monate alt. Der probt zwar ebenso gründlich wie eifrig, gibt sich aber absolut nicht siegesversessen. Er tut gut daran, gelassen zu bleiben: Zuletzt fuhren im Jahr 2000 die dänischen Olsen Brothers einen überwältigenden Start-Ziel-Sieg ein. Und auf die hatte kein Wettbüro mehr als einen Pfifferling gegeben. Spannung ist also garantiert ab 21.00 Uhr. Und das ist auch gut so.

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