Liebe Leserin, lieber Leser,
Wenn Sie in Zukunft auf der Autobahn einmal einen Lkw in einer Kolonne überholen, und sich dabei vielleicht verwundert die Augen reiben, dass dieses Ungetüm von Automobil kein Ende zu nehmen scheint, dann müssen Sie weder zum Augenarzt noch sich fragen, ob Sie vielleicht an Halluzinationen leiden. Der Grund dafür ist der sogenannte Gigaliner-Feldversuch. Anfang der Woche haben die Verkehrsminister der Bundesländer den 25 Meter langen Riesen freie Fahrt gegeben und damit die Basis dafür gelegt, dass sich diese Lastwagen der Superlative nun im ganz normalen Wahnsinn des Straßenverkehrs bewähren dürfen. Eine Initiative für einen Stopp des Gigaliner-Experiments fand bei der Konferenz der Verkehrsminister mit einem Abstimmungsergebnis von acht zu acht keine Mehrheit.
Was ist der Hintergrund für das Donnergrollen, das um die Freilassung dieser Dinosaurier der Straße gemacht wird? Bisher dürfen Lkw in Deutschland maximal 18,75 Meter lang und 40 Tonnen schwer sein. Die Gigaliner sollen dagegen bis zu 25,25 Meter messen und 44 Tonnen wiegen dürfen. Ihr geplanter Einsatz ist schon seit langem umstritten. In erster Linie die sogenannten großen Flächenländer wie Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg lehnen die Monster-Lkw ab. Gründe dafür seien vor allem das dichte Autobahnnetz, die vielen Staus und die ständigen Baustellen, die solchen Auswüchsen des Transportwesens im Wege stünden.
Uns steht es hier nicht an, über Sinn und Unsinn, über Für und Wider dieses Experimentes zu urteilen. Interessant ist aber bei aller kontrovers geführten Diskussion, dass auch Umweltschützer und Verkehrsclubs sich gegen die Lkw in diesem Feldversuch, von dem Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Bremen, Berlin, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Brandenburg und das Saarland ausgenommen sind, aussprechen. Der Ausbau der Ladekapazität, so argumentieren die Betroffenen, führe dazu, dass noch mehr Güter auf der Straße transportiert würden. Damit sei eine Steigerung der Unfallzahlen ebenso programmiert wie der übermäßige Verschleiß der Autobahnen.
Mit Nachdruck setzt sich der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) für den Feldversuch ein. Zwei solcher sogenannten Gigaliner könnten das Transportvolumen von drei herkömmlichen Lkw übernehmen, benötigten dafür aber weniger Verkehrsfläche, argumentiert der Interessenverband. Der BGA geht sogar davon aus, dass die Abnutzung der Fahrbahnen nicht zunehmen, sondern abnehmen würde. Die Wartungsintervalle von Autobahnen könnten um eineinhalb Jahre verlängert werden, wenn die Riesenlastwagen einen 45-Prozent-Anteil am Fernlastverkehr erreichten.
Egal, wie die Geschichte ausgeht: Wir müssen uns etwas einfallen lassen, wie wir unsere Waren und Güter in Zukunft transportieren wollen und können. Auch die Bahn, deren Streckennetz für Güter- und Personenverkehr der Kapazitätsgrenze entgegenstrebt, ist kein Allheilmittel. Und Waren, die über das Wasser bewegt werden, müssen irgendwann wieder runter vom Fluss, um an ihren eigentlichen Bestimmungsort zu gelangen. Und dafür braucht man nun mal Nutzfahrzeuge. Egal, welcher Größe. Viel Zeit bleibt nicht dafür. Nach einer aktuellen Erhebung soll der Güterverkehr bis zum Jahr 2015 um 70 Prozent zunehmen.
Bleibt zumindest spannend, was nun bei dem Feldversuch mit den Transport-Riesen heraus kommt. Einen Versuch, denke ich, ohne Partei ergreifen zu wollen, ist es allemal wert.
Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende.
Ihr Jürgen C. Braun