Totgesagte leben länger – vor allem fern der Heimat. Kaum ein Autohersteller beweist das besser als der VW-Konzern, der abgelegte EU-Modelle rund um den Globus munter weiter produziert. Der Santana feiert in China fröhliche Urständ, bis zum letzten Jahr gab es den Golf I noch als Neuwagen in Südafrika. In Brasilien läuft über 30 Jahre nach dem europäischen Aus noch immer der T2 vom Band. Der Bus, der bei uns zum Rückgrat von Handel, Handwerk und Gewerbe und zugleich zum Helden der Hippies wurde, ist für die Südamerikaner ein preiswerter Pack- und für VW ein einträglicher Goldesel. Denn schier unverwüstlich und in der Buchhaltung längst abgeschrieben, läuft und läuft und läuft er, ohne dass ein Ende absehbar wäre. Im Gegenteil: Mit etwas Glück schwappt die Idee jetzt sogar wieder nach Europa zurück und feiert mit der Serienfassung der Genfer Bulli-Studie wieder ein Comeback.
Während der legitime Nachfolger T5 der VW-Nutzfahrzeugtochter für die sentimentale Ahnenfolge zu groß, zu teuer und zu modern geworden ist und man in Wolfsburg gerade über eine Neuauflage diskutiert, haben die Brasilianer das Original nie abgelegt und munter weiter gepflegt. Erst Anfang 2006 gab es die letzte Evolutionsstufe mit nunmehr wassergekühltem Motor, bei der die aus den Generationen T1 und T2 vereinte Karosserie eine schwarze Kühlermaske bekam und das Interieur ein wenig aufgefrischt wurde. Seitdem baut VW in Sao Bernardo do Campo wieder immerhin rund 30.000 Busse pro Jahr.
Eine Testfahrt mit dem Bulli aus Brasilien ist wie die Reise in eine Zeit, als Jeans noch Schlag hatten, Männer ihre Bärte stehenließen und die Frauen Kleider mit Blumenmustern trugen: Die Karosserie so schlicht und schnörkellos wie eh und je und das Interieur nur praktisch statt pfiffig. So beamt einen der Neuwagen zurück in die Siebziger.
Sobald man die auch heute noch ein wenig hakeligen Schlösser bezwungen und die Sehnsucht nach einer Zentralverriegelung oder gar einer Funkfernbedienung überwunden hat, nimmt man Platz auf einem dürren Polstersessel und sitzt hinter einem riesigen Lenkrad. Bevor der Blick durch die gebogene Frontscheibe das Weite sucht, fällt er auf den winzigen Tacho, der sich im riesigen Cockpit förmlich verliert. Die Hand ruht automatisch auf dem dünnen Schaltknauf, der wie ein Spazierstock aus dem Mitteltunnel ragt. Alles wie immer also?
Nicht ganz. Spätestens mit dem Griff zum Zündschlüssel holt einen die Gegenwart zumindest wieder ein bisschen ein: Wo bei uns bis 1979 und in Brasilien noch bis Dezember 2005 ein luftgekühlter Boxermotor lustvoll knatterte, hört man jetzt den stumpfen Sound eines wassergekühlten Vierzylinders. Der Motor klingt zwar nicht so gut wie früher, hat dem T2 aber in Brasilien das Leben gerettet. Denn der 1,4 Liter erfüllt nicht nur die am Zuckerhut maßgebliche Euro-2-Norm, sondern kann wie fast alle Aggregate in Brasilien auch mit Ethanol in jeder denkbaren Konzentration betankt werden. Außerdem ist er mit seinen 80 PS immerhin zehn PS stärker als der letzte europäische T2 und bringt den Kombi an der Copacabana-Uferstraße halbwegs flott in Fahrt. Kein Wunder: Schließlich wiegt der Wagen unbeladen nicht einmal 1,3 Tonnen. Außerdem ist der Verkehr hier meistens so dicht, dass Sprintwert und Spitzentempo ohnehin zur Nebensächlichkeit werden.
Also schnurrt man auf seiner ganz persönlichen „Sentimental Journey“ über Ipanema und Leblon Richtung Süden. Je freier die Straßen, desto besser gelingt die automobile Zeitreise: Irgendwie findet man plötzlich auf Anhieb wieder den richtigen der vier Gänge, hält mit starkem Arm und starrem Blick auch ohne Servolenkung einen geraden Kurs, freut sich angesichts kratergleicher Schlaglöcher über die stoische Ruhe des Fahrwerks und empfindet auf einem freien Stück Strecke sogar die Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h als kleine Raserei – nicht umsonst tobt da durch die kleinen Ausstellfenster längst jener Orkan, den man der asthmatischen Lüftung zuvor bei bestem Willen nicht entlocken konnte.
Während der Zuckerhut so langsam im Rückspiegel entschwindet, die Strände leerer und die Straßen freier werden, wächst mit jedem Meter das Zutrauen in die betagte Technik. Das ist auch gut so. Denn viel mehr als das hat der VW Kombi nicht zu bieten, um einen in Sicherheit zu wiegen. Klar, zumindest Fahrer und Beifahrer haben mittlerweile Dreipunkt-Gurte, und alle drei Sitze in der ersten Reihe haben eine Kopfstütze. Aber ABS oder Airbags oder gar ein ESP? Daran haben die Pfleger des brasilianischen Pfleger des rüstigen Rentners noch keinen Gedanken verschwendet.
Für europäische Touristen in Brasilien ist der fabrikneue Oldtimer je nach Sicht der Dinge ein automobiler Anachronismus oder eine charmante Sentimentalität auf Rädern. Doch die normale Kundschaft macht sich darüber längst nicht so viele Gedanken. „Für mich ist der Kombi nicht mehr und nicht weniger als das Rückgrat meines Betriebes“, sagt ein brasilianischer Handwerker und zeigt auf seinen staubigen T2 voller Bretter, Latten und Sägemehl. „Klar könnte ich dafür auch einen Pick-up kaufen oder einen modernen Transporter etwa aus Korea. Aber die bieten nicht nur weniger Platz, sondern sind auch noch doppelt so teuer.“
Text und Fotos: Spot Press Services/Benjamin Bessinger