John Scofield: Piety Street. (Emarcy/Universal)
Ein Star zu werden, ist nicht schwer, schon gar nicht in einer Zeit der medialen Reizüberflutung. Der sarkastische Stoßseufzer Jeder darf im Fernsehen auftreten, aber muss es auch jeder tun trifft oft genug die pure Wirklichkeit.
Aber die Fähigkeit, sich mit wirklicher Flüssigkeit, Virtuosität und Ernsthaftigkeit auszudrücken, bleibt echten Künstlern vorbehalten – erst recht die Fähigkeit, sich in mehr als einem Genre souverän zu bewegen. Der Gitarrist John Scofield verfügt über diese Fähigkeit, was er mit seinem neuen Album beweist: Piety Street ist eine Kollektion von überwiegend klassischen Gospel-Songs, interpretiert von einem virtuosen Gitarristen.
Scofield, Jahrgang 1951, spielt seit seiner Kindheit Gitarre. Inspiriert hatten den damals Elfjährigen die Rock- und Blues-Größen der frühen 60er Jahre. Durch ein Geschenk seines Vaters entdeckte er ein Jahr später den Jazz: Es war 1963 und ich spielte bereits seit etwas mehr als einem Jahr Gitarre, als mein Vater – der sich eigentlich überhaupt nicht für Musik interessierte – einen Artikel über Django Reinhardt las. Er meinte sich erinnern zu können, dass ich Django einmal im Fernsehen gesehen und danach einen Monat lang von nichts anderem gesprochen hatte. Deshalb war er so nett und kaufte für mich 'Djangology'. Was er nicht wusste: in Wahrheit hatte ich im Fernsehen eine Sendung mit Kenny Burrell (und nicht Django) gesehen, die mich dazu motivierte, das Gitarre spielen anzufangen. Das schien mir eine so coole Sache zu sein, dass ich mit elf Jahren den Entschluss fasste, mein Leben fortan als Gitarrist zu verbringen! Alles, was ich dazu brauchte, war eine Gitarre und ein bisschen Übung, und dann würde ich auch im Fernsehen Gitarre spielen können. Nun könnte man denken, dass der Erwerb einer Gitarre auch automatisch den Kauf von Platten nach sich gezogen hätte. Aber Elfjährige ticken da wohl manchmal etwas anders. So kam ich also schließlich dank meinem Vater in den Besitz der ersten Platte, die mich vom Folk und Rock weg- und wirklich zum Jazz hinführte.
Unverändert präsent blieb der Blues als Einfluss, auch bei Piety Street: Ich wollte schon seit Ewigkeiten ein Blues-Projekt durchziehen, verrät Scofield. Das ist die Musik, mit der für mich als Gitarrist alles begann, und gerade in den letzten Jahren fühle ich mich wieder sehr stark zum Blues hingezogen. Da ich mich aber nicht auf den zwölftaktigen Standard-Blues beschränken wollte, schaute ich mich nach anderen Inspirationsquellen um: und die fand ich bei der 'guten alten' Gospel-Musik – die ist der nächste Verwandte und unmittelbare Vorläufer des Rhythm'n'Blues, den wir alle lieben. Ich habe Gospel eigentlich schon immer geschätzt, aber mich nie zuvor wirklich mit dieser Musik auseinandergesetzt. Als ich es nun endlich tat, stieß ich auf unzählige Stücke, die mich wirklich berührten. Das ist ganz schön bewegendes Zeug! Natürlich interpretiere ich die Songs hier auf meine ureigene Weise – sämtliche Arrangements habe ich selbst geschrieben. Unterstützung erhielt Scofield von einer erstklassigen Band, die er eigens für dieses Projekt zusammenstellte.