Noch tobte der Krieg in aller Heftigkeit, lagen die meisten europäischen Industriestädte in Trümmern, bestimmten Rohstoffknappheit, Fahrverbote für Privatfahrzeuge und Benzinrationalisierungen auf unabsehbare Zeit den Alltag. Dennoch dachten schon 1944 verblüffend viele Fahrzeugkonstrukteure an eine automobile Neuzeit für das Nachkriegs-Europa. Tatsächlich erfolgte vor 70 Jahren die Initialzündung für die Massenmotorisierung in fast allen europäischen Ländern. So etwa in Schweden, das es zehn Jahre später mit 16 Einwohnern je Personenwagen überraschend auf den höchsten Motorisierungsgrad des ganzen Kontinents bringen sollte. „Denkt daran, dass Europa durch den Krieg verarmt ist – das Auto muss anspruchslos und billig sein…“, formulierte 1944 der Schwede Sven Otterbeck, stellvertretender Generaldirektor des Flugzeugherstellers Saab, die Ansprüche an den ersten Pkw der Marke, den Saab 92. „Wir wollten einen Kleinwagen bauen, aber keine Seifenkiste“, kommentierte Assar Gabrielsson, einer der beiden Volvo-Gründer, das Konzept des PV 444, der im September 1944 in Stockholm seine Weltpremiere feierte und der nordischen Marke weltweit den Durchbruch brachte. Im bombenzerstörten Mittelengland legte Morris mit dem erschwinglichen Minor eine Grundlage für den Boom der Nachkriegsjahre, die Großbritannien noch einmal den zweithöchsten europäischen Motorisierungsgrad bescherten.
Derweil waren es im kriegsverwüsteten Frankreich Citroën, Peugeot und Renault, die mit höchst unterschiedlichen Ideen die Wiederaufnahme der Fahrzeugherstellung vorbereiteten, sich nach Kriegsende allerdings erst einmal gegen planwirtschaftliche politische Vorgaben durchsetzen mussten. Während die ursprüngliche Konstruktion des unkonventionellen Citroën 2 CV, der legendären „Ente“, noch auf die Vorkriegszeit zurückging, entstanden die ersten Pläne für den Peugeot 203 als geräumiges Familienfahrzeug im amerikanischen Design im Jahr 1944. Vier Jahre später wurde der erste Peugeot mit selbsttragender Karosserie und 31 kW/42 PS starkem Vierzylinder-Benziner der staunenden Öffentlichkeit vorgestellt. Mehr Leistung bot 1948 auch ein Porsche nicht, zudem schien der Peugeot 203 mit seinem American Way of Style direkt aus einem Hollywood-Film in die Schauräume der Händler zu fahren. Zugleich galten die eleganten Limousinen, Kombis, Coupés und Cabriolets aber bis 1960 als Inbegriff französischer Lebensart.
Dagegen war das viertürige Heckmotormodell Renault 4 CV eine Idee des genialen Automobilpioniers Louis Renault. Trotz des Verbots der deutschen Besatzer trieb der Visionär die Entwicklung seines Kleinwagens voran. Das dem deutschen Käfer vom Konzept nicht unähnliche Fahrzeug feierte im Oktober 1946 auf dem Pariser Salon seine Weltpremiere und avancierte anschließend zum ersten französischen Produktionsmillionär, der sogar in Amerika und Japan Karriere machte. Ein Erfolg, den Louis Renault nicht mehr erlebte, verstarb er doch bereits im Oktober 1944 in einem Pariser Krankenhaus. So lag es an Pierre Lefaucheux, dem ersten Präsidenten der mit Kriegsende verstaatlichten Renault-Werke, den Serienstart des 4 CV gegen große Widerstände durchzusetzen. In Deutschland war der ob seiner anfänglichen Farbgebung und Form „Cremeschnittchen“ genannte Renault viele Jahre beliebtestes Importmodell.
In Italien war es wiederum die Weiterentwicklung des winzig-witzigen Fiat 500 Topolino, die ab 1944 vorbereitet wurde. Das erstmals 1936 gezeigte Mäuschen startete nach Kriegsende in einer weiteren Karosserievariante: Als 500 Giardiniera Belvedere verfügte der Volksheld über ein aus Holz und Kunststoffverkleidungen aufgebautes, schick geformtes Kombiheck mit Platz für vier Erwachsene. Dagegen liefen in der damaligen Sowjetunion schon im Jahr 1941 im Moskwitsch-Werk die Bänder für das designierte erste Volumenmodell KIM 10 an. Zum ersten echten russischen Großserienfahrzeug avancierte jedoch unmittelbar nach Kriegsende der Moskwitsch 400. Über 247.000 Einheiten des russischen Volksautos liefen bis Mitte der 1950er Jahre vom Band. Allerdings verbarg sich hinter der Chromfront des kleinen Moskauers die Technik des Opel Kadett. Wurden doch dessen Produktionsanlagen 1946 als Reparationsleistung in die Sowjetunion geliefert.
Entstanden war der Opel Kadett Mitte der 1930er Jahre, jener Ära, die auch den Volkswagen Käfer hervorgebracht hatte. Wie der Wolfsburger waren auch die anderen Volksfahrzeuge im frühen Nachkriegs-Deutschland keine neu entwickelten technischen Trendsetter. Opel revitalisierte nach dem Verlust des Kadett den alten Olympia von 1935 und Ford Köln den sogenannten Buckel-Taunus aus dem Jahr 1939.
Umso überraschender waren die Talente, mit denen die ersten gänzlich neuen automobilen Friedensbotschafter Presse und Publikum verblüfften. Allen voran der sogenannte Buckel-Volvo PV 444, der in Stockholm auf der weltweit einzigen Automobilausstellung des Jahres 1944 präsentiert wurde. Tatsächlich war eine solche Premierenparty damals wohl nur im neutralen Schweden möglich, wenngleich das Land wirtschaftlich ebenfalls nicht vom Weltkrieg verschont blieb. Der Serienstart des Volvo sollte deshalb erst 1947 erfolgen – parallel zum Debüt eines noch kompakteren schwedischen Massenmodells, des Saab 92 mit Zweitaktmotor und Stromlinienform. Aber auch für den Volvo im amerikanischen Aero-Design begeisterte sich die autohungrige Bevölkerung. So brach der Volvo PV 444 alle bestehenden Volvo Verkaufsrekorde und wurde einschließlich seiner vorsichtig modernisierten Weiterentwicklung PV 544 bis 1965 in 440.000 Einheiten produziert. Noch länger gebaut wurde der zweite Schwede aus der Ära des Weltkrieges. Der 1950 endlich in Serie gehende Saab 92 brachte es zusammen mit seinen Evolutionen Saab 93 und Saab 96 auf eine 30-jährige Produktionszeit und über 730.000 Einheiten. Dies übrigens auch mit außergewöhnlichen Sicherheitstechniken, die zu einem regelrechten Wettlauf um Sicherheitsinnovationen zwischen den beiden schwedischen Marken führten. Gerade in den ersten Nachkriegsjahrzehnten als die Unfallbilanzen in allen Ländern unfassbar viele Todesopfer forderten, waren Sicherheitsfahrgastzellen (Volvo und Saab), Dreipunkt-Sicherheitsgurte (Volvo) oder das erste diagonal aufgeteilte Zweikreis-Bremssystem (Saab) wichtige Fortschritte für die bezahlbare Fahrzeugklasse.
Ebenso wie der Bandanlauf der beiden Schweden wurde auch der englische Morris Minor bedingt durch die Rohstoffknappheit der frühen Nachkriegszeit verspätet ausgeliefert. Mit den rundlich geformten Vierzylinder-Modellen wollte der geniale Konstrukteur Alec Issigonis (der spätere Erfinder des englischen Mini) der Arbeiterklasse ein Fahrzeug anbieten, das den Komfort und die Fahrleistungen weit größerer Modelle ermöglichte. Tatsächlich wurde der Morris damit nicht nur erster englischer Produktionsmillionär, insgesamt wurden sogar über 1,6 Millionen Einheiten bis 1973 verkauft. Nicht einmal die designierten Nachfolger Mini und 1100/1300 konnten den Minor ersetzen, der auf den britischen Inseln einen bis dahin einzigartigen Kultstatus errang.
Mit Ideen für neue Volksautos trotzten die Ingenieure vor 70 Jahren nicht nur den trüben Kriegsjahren mit ihren Trümmerlandschaften. Die Autobauer verfolgten damit neue Ziele. So konnten die bezahlbaren Kompaktwagen unter minimalem Materialverbrauch zuerst den wirtschaftlichen Wiederaufbau beschleunigen und anschließend die Massenmotorisierung vorantreiben. Was damals noch keiner ahnte: Nach ihrer Ausmusterung aus dem Alltag wurden fast alle automobilen Kinder des Krieges zu gesuchten Kultmodellen.
Text: Spot Press Services/Wolfram Nickel
Fotos: SP-X/Hersteller