Auf allen Vieren zum Erfolg: Bislang ist VW nicht eben durch eine besonders große Experimentierfreude aufgefallen und hat die meisten Nischen viel zu lange links liegen gelassen. Doch jetzt drehen die Niedersachsen auf. Weil es bis 2018 nicht mehr ganz so lange hin und die Weltspitze mit Golf & Co alleine nicht zu erreichen ist, planen sie für die nächsten Jahre eine gewaltige Offroad-Offensive, die allein für die Muttermarke ein halbes Dutzend Modelle vorsieht. Dabei spannen die Wolfsburger Strategen den Bogen vom winzigen Taigun auf Basis des Up bis zu einem Fünf-Meter-Schiff, das selbst den Touareg schmal und schmächtig aussehen lässt und als trendige Alternative zum Minivan vor allem in Amerika und China punkten soll. Doch weil auch bei uns Familienväter oft nur noch müde abwinken, wenn sie an Sharan oder Touran denken, hätte das Konzept auch in Europa gute Chancen.
Wie das Riesenbaby einmal heißen soll, darüber kann man bislang nur spekulieren. Doch zumindest Form und Format sind seit der Premiere der Studie „CrossBlue“ kein Geheimnis mehr. „Dieses Showcar gibt einen sehr konkreten Ausblick auf das neue Modell“, sagen die Wolfsburger. Und damit man ihnen das auch abnimmt, haben sie das Messemodell neun Monate nach der Premiere in Detroit noch einmal aus der geheimen Prototypen-Garage geholt und zu einer exklusiven Testfahrt bereitgestellt.
Dabei überrascht der CrossBlue vor allem mit seinem üppigen Platzangebot. Ob das Cockpit mit den frei konfigurierbaren Instrumenten, die Sensortasten und die erst beim Anlassen ausfahrenden Klimaregler, der riesige Touchscreen im Armaturenbrett und oder die iPads in den Kopfstützen für die Serie eine Chance haben, darauf möchte im Projektteam wahrscheinlich niemand wetten. Doch die drei Meter Radstand und mit ihnen die drei Sitzreihen sind gesetzt. Weil das Auto außerdem runde zwei Meter breit ist, hat man nicht nur vor den Knien, sondern auch um die Schultern richtig viel Platz. Zumindest bei der Version mit sechs Einzelsitzen reist man da auch in der zweiten Reihe wie in der ersten Klasse und muss sich erst als Hinterbänkler ein bisschen einschränken. Mit Blick auf maximale Raumausnutzung und minimale Kosten wird es aber wohl auch eine Version mit durchgehender Bank in der Mitte geben, mit der der CrossBlue zum Siebensitzer wird.
Viele Sitzplätze sind aber nur die halbe Miete. Damit die Passagiere auch zumindest ein bisschen Gepäck mitnehmen können, hat VW auf einen entsprechend großen Kofferraum geachtet: Selbst bei voller Bestuhlung liegt er mit 335 Litern fast noch auf Golf-Niveau. Faltet man die dritte Reihe weg, gehen über 800 Liter hinein und wenn man den Wagen zum Zweisitzer umbaut, macht er mit fast zwei Kubikmetern jedem Kleintransporter Konkurrenz.
Zwar ist der CrossBlue mit seinen fünf Metern Länge noch einmal 20 Zentimeter länger als der Touareg. Doch im Preis ist er deutlich darunter angesiedelt. Wo es das bisherige SUV-Flaggschiff aus Wolfsburg aktuell zu Preise ab 50.850 Euro gibt, soll die Serienfassung des CrossBlue zwischen 35 000 und 40 000 Euro liegen. Möglich macht den Preissprung der Modulare Querbaukasten. Denn der Blaue Riese ist kein XL-Touareg aus dem neuen Komponentensatz für die Oberklasse, sondern ein mächtig aufgeblasener Golf oder besser: der große Bruder des nächsten Tiguan.
Entsprechend vorhersehbar ist die Technik: „Alles was unter die Haube des Golf passt, können wir auch im CrossBlue einbauen“, sagt ein Ingenieur aus dem Team: „Plus einem V6-Motor natürlich, der für Amerika unverzichtbar ist.“ Statt dicker Achtzylinder wird es das Dickschiff deshalb vor allem mit Vierzylinder-Dieseln und –Benziner geben, die wohl zwischen 120 und 200 PS liegen dürften.
Und damit man bei der Liebäugelei mit dem blauen Riesen gar nicht erst ein schlechtes Gewissen bekommt, schürt VW mit der Studie auch schon mal die Hoffnung auf eine Plug-In-Variante: Unter der Haube 140 kW/190 PS starker TDI-Motor, eine E-Maschine mit 40 kW/55 PS vorne im Getriebe, eine mit 85 kW/115 PS an der Hinterachse, im Mitteltunnel ein Lithium-Ionen-Akku mit einer Kapazität von 9,8 kWh und auf der Platine eine intelligente Regie, die immer am richtigen Regler zieht, sollen den Verbrauch in der Theorie auf 2,1 Liter drücken. Mit einer Systemleistung von 305 PS und vereinten 700 Nm reicht das auf der einen Seite für einen Sprintwert von 7,5 Sekunden und ein Spitzentempo von knapp über 200 km/h. Aber auf der anderen Seite kann man damit eben auch etwas mehr als 30 Kilometer weit elektrisch Fahren und dabei immerhin 120 km/h erreichen.
2,1 Liter auf 100 Kilometer und mit leerem Akku noch immer unter fünf Litern – das klingt nach ferner Zukunft. Doch auch der Plug-in-Hybrid ist bei VW offenbar fest eingeplant. „Denn auch diese Technik kommt aus dem Baukasten“, sagt ein Ingenieur und nennt als Beweis die elektrische Hinterachse, die Anfang nächsten Jahres im E-Golf in Serie geht.
Gebaut hat das neue Dickschiff der Diplom-Ingenieur Dzemal Sjenar. Er leitet die Montage der Designstudien in Wolfsburg und ist mit seiner Mannschaft für die meisten Messemodelle verantwortlich. Im ständigen Zeitdruck und in dauernder Diskussion mit Technik und Design muss die Truppe in einer streng geheimen Werkstatt von Hand am Einzelstück ausprobieren, was später mal zu tausenden in einer Fabrik vom Band laufen soll – im Fall des CrossBlue übrigens wahrscheinlich in Mexiko oder Chattanooga und in China. Bei diesem Job tickt immer die Uhr, weil sich die Messen ja nicht verschieben lassen. Doch Sjenar hat mittlerweile Nerven wie Drahtseile. Und kaum wurde eine Studie enthüllt, macht er schon den Kopf frei für das nächste Projekt und tilgt die Erinnerung an Showcars wie den e-Bugster oder den Taigun: Aus dem Augen aus dem Sinn. Doch beim CrossBlue ist das was anderes. Dem drückt der freundliche Bosnier auch aus ganz persönlichen Gründen alle Daumen: „Damit würde ich lieber heute als morgen in einen schönen langen Urlaub fahren.“
Text: Spot Press Services/Benjamin Bessinger
Fotos: VW/SP-X