Revolutionäres Stoßdämpfer-Konzept im Formel-1-Ferrari

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Aufmerksame Zuhörer hatten schon bei der Präsentation des Ferrari F2003-GA Anfang des vergangenen Jahres die Ohren gespitzt. Sprach doch Aerodynamik-Genie Rory Byrne von einer komplett neu entwickelten Hinterachse. Was genau so neu an dem Bauteil war, das in ähnlicher Form auch in der Saison 2004 zum Einsatz kommt, darüber herrschte bisher Stillschweigen. Nicht weniger als 17 Siege hat die deutsch-brasilianische Fahrerkombination seit dem ersten Einsatz des neuen Fahrwerks-Elements beim Großen Preis von Spanien im Mai 2003 eingefahren – darunter alleine sechs Doppelsiege in dieser Saison.
Aller Geheimhaltung zum Trotz – nach über einem Jahr kam doch heraus: Es handelt sich um eine Entwicklung der ZF Sachs Race Engineering GmbH. In Kooperation mit den Ingenieuren der Scuderia Ferrari wurde das Stoßdämpfer-Konzept revolutioniert.

Statt der üblichen drei konventionellen Dämpfer an der Hinterachse übernehmen die Hauptarbeit zwei Rotationsdämpfer, die in den Umlenkhebel – englischer Fachausdruck: Rocker – integriert sind und zwei der klassischen Stoßdämpfer ersetzen. Der Rocker ist eine Art Dreieckshebel, der drehgelagert die Ein- und Ausfederbewegung vom Rad auf die Feder, Stabilisator und – bisher – auf die klassischen Stoßdämpfer umleitet. Hightech made by ZF Sachs sind die neuen Rocker mit bereits integriertem Rotationsdämpfer. Die Formel-1-Boliden aus Maranello verfügen nun nur noch über einen einzigen klassischen Dämpfer in der Mitte, der anspricht, wenn das gesamte Chassis – zum Beispiel bei hohen Geschwindigkeiten aufgrund des Anpressdrucks – einfedert.

Zirka neun Monate Entwicklungszeit stecken in dem Rotationsdämpfer. Das Funktionsprinzip in Kürze: Die Bewegung des Hinterachs-Lenkers beim Ein- und Ausfedern wird über den Rocker auf die Feder und einen Drehflügel übertragen. Dieser schiebt Öl von der einen zur anderen Seite durch Ventile, die mit definierten Durchlässen die notwendige Dämpfungskraft erzeugen. Das Gehäuse des aus fünf Haupt-Bauteilen bestehenden Rotationsdämpfers ist ein aus dem Vollen gearbeitetes Titanstück nach Luftfahrt-Spezifikation. Das größte Know-how steckt in der Dichtungstechnologie, die man bei ZF Sachs schon in aktiven Stabilisator-Systemen für Serien-Pkw erprobt hat. Der Dämpfer wird im Formel-1-Ferrari von etwa 160 bar Innendruck belastet.

Die Vorteile der Rotationsdämpfung sind zahlreich: Allem voran natürlich die Platzersparnis durch den Wegfall der klassischen Stoßdämpfer. Dämpfer und Umlenkhebel sind nur noch ein multifunktionales Bauteil. Das ermöglicht ein kompakteres Getriebe und hierdurch eine noch effizientere Aerodynamik. Außerdem ergibt sich eine Gewichtsersparnis von etwa 50 bis 70 Gramm – in der Hightech-Liga Formel 1 eine signifikante Größenordnung. Dazu kommt, dass die Rotationsdämpfer nun thermisch nicht mehr so hoch belastet werden wie ihre klassischen Vorgänger, die in das sehr heiße Getriebe integriert waren. Genauso wie auch bei der bisherigen Lösung werden an einem Renn-Wochenende nicht verstellbare Dämpfer eingesetzt, deren Justierung vorher auf Prüfständen und bei Testfahrten herausgearbeitet wurde. Es wird bei einer Änderung der Fahrzeugabstimmung der ganze Rotationsdämpfer durch ein Exemplar mit einem anderen Ansprechverhalten ausgetauscht. Zu guter Letzt ist auch das Ansprechverhalten im Hinblick auf die Gesamtreibung des Dämpfersystems günstiger, da weniger bewegte Teile im System vorhanden sind. Das wirkt sich positiv auf das Fahrverhalten aus. Die einzigartige Erfolgsbilanz von Michael Schumacher und Rubens Barrichello unterstreicht die Leistungsfähigkeit des Rotationsdämpfers.

Das Prinzip des Rotationsdämpfers hat seine Feuertaufe im Motorsport bestanden und bewährt sich seit über einem Jahr mit Bravour. Dass Otto Normalverbraucher auf der Straße auch einmal in den Genuss dieser Hightech-Komponente kommt, ist aber eher unwahrscheinlich. Gegenüber einem herkömmlichen Teleskop-Stoßdämpfer ist der Preis etwa zehnmal so hoch.

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