Seit nunmehr zwei Jahren ist Lancia außerhalb Italiens Geschichte, eine Entwicklung, die im Herbst 1979 noch fast so unvorstellbar schien, als wenn Ferrari verschwinden würde. Präsentierte Lancia doch damals den Delta und damit ein Auto, das alles verkörperte, was die Faszination italienischer Fahrzeuge von jeher ausmacht: aufregende Technik, elegantes Design und stilvoller Luxus im Interieur.

Damit die Fans sportlicher Modelle ebenfalls auf ihre Kosten kamen, machte sich Lancia mit dem Delta im Rallyesport endgültig zum Mythos: Der Gewinn von nicht weniger als sechs aufeinanderfolgenden Weltmeisterschaften in den Jahren 1987 bis 1992 gilt bis heute als kaum zu übertreffen. Auch wenn sich der Delta technische Komponenten mit dem profanen Fiat Ritmo teilte, konnte er doch als erstes fünftüriges Kompaktklassemodell all die Schöngeister, Kreativen und Erfolgsmenschen erreichen, denen ein Fiat oder VW Golf nicht genügte. Zumal Stardesigner Giorgetto Giugiaro, der zuvor den Golf I in Form gebracht hatte, das Kunststück gelang, den Delta in gleichermaßen schlichter wie zeitlos kantiger Eleganz zu zeichnen. So setzte der kompakte Lancia schon in erster Generation gleich zwei Rekorde in der Markengeschichte: Mit 16 Jahren erreichte der Delta die längste Produktionszeit aller Lancia-Modelle und mit mehr als einer halben Million produzierter Einheiten die höchste Auflage oberhalb der kleinen Cityflitzer.

Technik vom Feinsten ohne Rücksicht auf die Kosten und dies sogar in der Kompaktklasse, das war es, wofür Lancia stand und was der 1906 von Vincenzo Lancia gegründeten Turiner Edelfabrik mehrfach zum Verhängnis wurde. Wirklich viel Geld verdient haben die genialen Italiener nämlich eindeutig zu selten. Sogar in den 1960er Jahren mit progressiven Lancia-Erfolgsträgern wie Flavia und Fulvia blieb die Kassenlage derart klamm, dass Fiat 1969 die marode Marke übernehmen musste. Mit dem frischen Kapital des Turiner Giganten und den daraus finanzierten Modellentwicklungen Stratos, Beta, Gamma, vor allem aber dem kompakten Delta stieg Lancia in den 1970er Jahren noch einmal zu globaler Größe auf – so wie es sich Fiat-Chef Giovanni Agnelli für seine frisch ins Imperium integrierte feine Tochtermarke gewünscht hatte.

Wurden die Erfolge von Beta und Gamma noch durch gewisse Defizite bei Produktionskosten, Qualität und Funktionalität geschmälert, wollte Lancia beim Delta endgültig alles richtig machen. So verpflichtete der Traditionshersteller erstmals weder den Design-Altmeister Pininfarina noch den Hausstilisten Castagnero, sondern Giugiaros Firma Italdesign, die in den 1970er Jahren bereits Volkswagen, Hyundai und andere Marken auf Erfolgskurs gebracht hatten. Bodengruppe (allerdings verlängert) und Basismotoren teilte sich der Lancia mit dem Konzernkollegen Fiat Ritmo und für Zuverlässigkeit sollte auch eine erste Entwicklungskooperation mit Saab bürgen, die später in dem Gemeinschaftsprojekt Lancia Thema/Saab 9000 mündete. Nur an zwei Punkten haperte es vorläufig: Der Delta leistete maximal 63 kW/85 PS und damit nicht mehr als Golf, Ritmo oder Alfasud, war aber eingepreist wie größere Mittelklassemodelle. Und die Produktqualität der anfangs im alten Fiat-Werk Lingotto gefertigten Modelle war derart bescheiden, dass die Schweden den Saab-Klon Lancia 600 gleich im Laden stehen ließen.

Das alles änderte sich mit der Verlagerung der Fertigung ins moderne Werk Chivasso und einer Leistungsexplosion unter der Haube des Delta, wie sie die Kompaktklasse noch nicht erlebt hatte. War es zunächst der 96 kW/130 PS starke Delta 1.6 HF, der ab 1983 zum Golf-GTI-Jäger avancierte, kam 1985 der Mittelmotor-Stürmer Delta S4 mit 184 kW/250 PS als Straßenversion der Gruppe-B-Rallyeautos. Diese 353 kW/480 PS leistenden Pistenstürmer beerbten die lange unschlagbaren Rallye-Titanen Lancia Stratos und 037 Rally und kulminierten 1987 im 441 kW/600 PS leistenden Delta ECV, ehe die FIA den WRC-Leistungswettlauf stoppte.

Lancia ließ sich indes nicht aufhalten, denn das 1986 lancierte Straßenmodell Delta HF 4WD mit Allradantrieb lieferte die Basis für Boliden, aus denen beinahe unschlagbare WRC-Weltmeister geformt wurden. Delta HF Integrale nannte sich das WRC-Geschoss, auf dem die Rallye-Weltmeister bis 1992 ritten und das im Straßenalltag sogar noch zwei Jahre länger Supersportwagen-Eigenschaften garantierte.

Zu diesem Zeitpunkt stand in den Schauräumen der Lancia-Händler bereits die zweite Generation des kompakten Bestsellers, der sich nun technische Komponenten mit dem Fiat Tipo und dem Lancia Dedra teilte. Der heute vergessene Dedra reüssierte damals als durchaus erfolgreicher Nachfolger des Lancia Prisma, einer 1982 präsentierten Stufenheckvariante des Delta. Tatsächlich war Motorsport in den 1990er Jahren nicht mehr das Feld von Lancia, stattdessen sollten Komfort und der Luxus von Gran-Turismo-Modellen größer geschrieben werden. Dazu gab es den neuen Delta ab 1995 als dreitürigen HPE, der die Idee des avantgardistischen Shooting-Brakes Beta HPE zitierte. Mit mäßigem Erfolg, denn ebenso wie der fünftürige Delta jener Dekade wirkte der HPE zwar gefällig, aber die Fans zu Begeisterungsstürmen hinreißen, das konnte die kompakten Lancia nicht mehr. Zu dezent war ihr Auftritt in der inzwischen unglaublich dicht besetzten Kompaktklasse. Immerhin konnte Lancia vom zweiten Delta bis zur Jahrtausendwende noch rund 140.000 Einheiten verkaufen.

Alles anders machte deshalb die dritte Delta-Generation, die 2008 zum 100. Geburtstag des ersten Serien-Lancia debütierte. Fast 80 Prozent aller Lancia waren zuletzt in Italien verkauft worden und von vielen einst wichtigen Exportmärken hatte sich die Edel-Marke zurückgezogen. Eine Entwicklung, die der neue Delta umkehren sollte, weshalb er parallel zum Markstart die automobile Hauptrolle im globalen Kino-Blockbuster „Illuminati“ übernahm. Sogar Nordamerika gehörte jetzt wieder zu den Märkten von Lancia, der neue Konzern Fiat Chrysler Automobiles (FCA) machte es möglich. Ein Coup, der allerdings am Ende den Untergang von Lancia beschleunigte, denn der Delta wurde auf nicht wenigen Märkten mit Chrysler-Grill verkauft. „Design enthüllt das innere Wesen einer Sache“, hatte Vincenzo Lancia einst gesagt und der finale Delta bestätigte den genialen Markengründer durch extrovertierte Crossover-Formen, ein Wohlfühl-Interieur im Stil der Alta Moda und üppige Abmessungen, die das handliche Format gewohnter Kompakte ignorierten. Sportliche Fahrdynamik überließ Lancia dafür den anderen. Als vielleicht einziger Kompakter qualifizierte sich der 4,52 Meter lange Fünftürer als Chauffeurlimousine, was ihm eine erstaunliche Verbreitung bei italienischen Behörden und Ministerien sicherte. Luxus und Noblesse nützten am Ende jedoch nichts, der Lancia Delta wurde außerhalb seines Heimatmarktes ein Ladenhüter und so geschah im Jahr 2014, was geschehen musste: Erst sagte der Delta Arrivederci und bald danach Lancia.

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