Nein, der Titel ist kein Tippfehler. Hinter dem eigenwilligen Namen verbirgt sich ein russisches Duo, bestehend aus Marjana Semkina und Pianist Gleb Kolyadin. Sie haben mit „The Bell“ ein Album vorgelegt, dessen Genre anno 2019 nicht mehr so stark wie früher öffentlich gewürdigt wird. Die Rede ist von Konzeptalben, und „früher“ meint z. B. die späten Sechziger und frühen Siebziger, als Alben wie „Pictures At An Exhibition“ und „666“ Furore machten. Emerson, Lake & Palmer interpretierten die Komposition von Modest Mussorgsky neu, und das Doppelalbum in flammend roter Hülle und der dreistelligen Zahl sorgte für einen regelrechten Skandal: Vangelis (der bei „666“ federführend war, auch wenn der Name seiner Noch-Band „Aphrodite’s Child“ genannt war, was aber mehr als Formalie den zu erfüllenden Verträgen mit der Plattenfirma galt) hatte mit der Sängerin Irene Papas eine Szene eingespielt (oder Papas hatte sie eingesungen), die damals als unerhört freizügig gelten durfte. Von Mastermind Vangelis sicher nicht unbeabsichtigt.
Wie aber sieht ein Konzeptalbum heute aus? „The Bell“ gibt eine Antwort darauf. Anleihen bei der klassischen Musik und beim Folk, oft folgt das der Devise „weniger ist mehr“. So muss Semkinas Gesang manchen Titel tragen, und das tut die Stimme zweifellos. Textlich ist „The Bell“ auf jeden Fall in sich geschlossen, menschliche Abgründe und den Umgang damit thematisierend. „Freak Show“ sagt das als Songtitel ausdrücklich. Das ist Musik zum Zuhören, zum Mithören ist sie absolut ungeeignet. Vergleiche von „iamthemorning“ mit irgendwem werden immer mehr oder weniger ungelenk ausfallen, allerdings mag man sich schon mal an Kate Bush erinnert fühlen. Die startete ihre Karriere 1978 mit der Literaturvertonung „Wuthering Heights“, ebenfalls sperrig und dadurch faszinierend. Übrigens: Im September und Oktober kommen „iamthemorning“ für einige Konzerte nach Deutschland (nachzusehen auf kscopemusic.com).
iamthemorning: The Bell (Kscope)