„So ein Ding ist uns noch nie untergekommen“, sagt der kaum 20-jährige Schlacks, dem der Hosenboden in den Knien hängt. Wäre er ein bisschen älter und würde Bermuda-Shorts tragen statt Baggy Pants, wäre das wahrscheinlich etwas ganz anders. „The Thing“ würde er den Wagen zwar trotzdem noch nennen, doch wüsste er dann zumindest, was es damit auf sich hat. Denn in der Generation seines Vaters war dieser VW ein Kultauto, das dem Bulli, dem Buggy und natürlich dem Käfer in nichts nachstand. Die Rede ist vom Typ 181, den wir Deutschen nur als Kübel- oder Kurierwagen kennen und untrennbar mit der Bundeswehr, dem Technischen Hilfsdienst oder anderen Gemeinnützern verbinden. Diesseits des Ozeans immer Dienstwagen und erst als Oldtimer ein Freizeitauto, war der Kübel auf der anderen Seite des Atlantiks schon Lifestyle, als man den Begriff noch nicht einmal buchstabieren konnte.
Dabei wussten die Amerikaner nie so recht, was dieser VW eigentlich sein wollte: Ein Cabrio, weil man schließlich das Kunstlederverdeck wie ein Zelt abschlagen, die Steckscheiben herausnehmen und sogar die Frontscheibe umklappen konnte. Ein Geländewagen, weil es zwar keinen Allradantrieb, aber zumindest etwas mehr Bodenfreiheit gab? Ein Nutzfahrzeug, weil man die Rückbank mit einem Handgriff umklappen und den Kübel dann fast wie einen Pick-Up beladen konnte? Oder einfach nur ein ebenso billiges wie cooles Alltagsauto für vier? Weil die Antwort darauf so schwer fiel, haben sie sich mit einem Trick aus der Affäre gezogen – und ihn tatsächlich nur das Ding („The Thing“) genannt.
Dessen Geschichte hat vor mehr als einem halben Jahrhundert mit einem Entwicklungsauftrag der Bundeswehr begonnen und 1980 nach genau 140.768 Exemplaren wieder geendet. Doch weil der der kantige Bruder des Käfers in diesem Jahr 50. Geburtstag feiert, darf er noch einmal auf große Tour. Die müsste, wenn man den Klischees folgen mag, natürlich durch Kalifornien führen, weil dort die Surfer schnell erkannt haben, dass der Kübel praktischer ist als der Buggy und das Wellblech-Cabrio deshalb an der Westküste besonders populär war. Doch weil der Kübel so herrlich unkonventionell ist, geht er auch auf eine unkonventionelle Route und rollt einmal quer durch die Südstaaten: Florida, Louisiana, Mississippi und Texas stehen im Roadbook und die Strecke führt im Grunde immer am Golf von Mexiko entlang.
Der ist für Anwohner wie Touristen Fluch und Segen zugleich. Für die Anwohner, weil er ihnen das beste Seafood südlich von Maine auf den Teller liefert und weil er in der Hurrikan-Saison so oft über die Ufer tritt, dass sie ihre Häuser auf Pfähle stellen müssen. Und für die Touristen, weil er endlos lange Strände bietet und dahinter kilometerbreite Sümpfe, in denen nicht nur Krokodile leben, sondern auch Myriaden garstiger Mücken – und nach ein paar Stunden im offenen Kübel weiß man nicht so recht, was schlimmer ist. Die Alligatoren mögen gefährlicher sein, nerviger sind aber ganz sicher die Moskitos.
Wo andere Touristen davon im klimatisierten Mietwagen nichts mitbekommen, ist man im Kübel mittendrin statt nur dabei: Man fährt so langsam, dass man die Landschaft förmlich in sich aufsaugt, man sieht den Strand nicht nur, sondern kann ihn riechen und auf der Haut fühlen und man erfährt buchstäblich am eigenen Leib, was für eine Plage solche Mückenschwärme sein können.
Dabei hat der Typ 181 auch in 50 Jahren nichts von seinem Reiz verloren: Spaß macht der Kübel noch immer, jede Fahrt wird zu einem luftigen Road-Movie auf der Memory-Lane und der Boxersound aus dem Heck liefert die passende Musik dazu. Dabei wird man gezwungenermaßen zu einem ausgesprochen gelassenen und entspannten Autofahrer. Denn selbst im Mutterland des Tempolimits kann man bei 44 PS so ziemlich jede Geschwindigkeitsbeschränkung galant ignorieren. So fest man das Pedal auch ans Bodenblech heften mag und so laut der 1,6 Liter große Vierzylinder auch brabbelt, dauert es eine gefühlte Ewigkeit, bis sich die Tachonadel im frugalen Cockpit mal auf 100 zittert, und bei spätestens 115 km/h ist ohnehin wieder Schluss.
Dass Kübelfahrern das Lächeln ins Gesicht gemeißelt zu sein scheint, mag deshalb auch daran liegen, dass sie stets gute Miene zum bösen Spiel machen müssen. Und daran, dass sie ständig fotografiert werden. Denn wo der Wagen auftaucht, halten sie ihm die Handys entgegen, und alle Welt reckt den Daumen – Harley-Fahrer vor dem Diner nicken anerkennend und jeder zweite Pick-Up-Cowboy würde sofort tauschen wollen. Selbst auf der Bourbon-Street in New Orleans halten die Party People kurz inne, als der Kübel in der Dämmerung übers Kopfsteinpflaster rollt und den Boxer mit den Barmusikern um die Wette bollert. Die nächste Margerita muss warten, erst mal steht jetzt Car-Spotting auf dem Programm. Kein Rolls-Royce und kein Lamborghini könnte so viel Aufmerksamkeit erregen wie dieser knallgelbe Klassiker.
Ja, in Amerika wurde der Kübel länger gebaut als bei uns, und wer wird heißer geliebt. Doch es gibt noch einen weiteren Grund, weshalb man mit diesem Auto besser durch Florida oder Texas fährt als rund um Frankfurt oder durch die Uckermark: Das Wetter. Denn der Aufbau des Verdecks ist so mühsam und für die Fingernägel so gefährlich, dass man es lieber zusammengefaltet lässt. Zumal die riesige Kunstleder-Plane und die vier Steckscheiben ohnehin nur mäßigen Schutz vor Wind und Wetter bieten und es im geschlossenen Auto so laut wird, dass man kaum mehr sein eigenes Wort versteht.
Also bleibt das Dach offen, egal ob es regnet oder die Tour mal wieder durch dichte Moskito-Wolken führt. Und selbst vor dem Supermarkt oder dem Coffeeshop macht man den Kübel nicht dicht, sondern schließt die Koffer lieber mit einem Fahrradschloss ans Sitzgestell. Nicht elegant, aber effektiv. Und weil die Jungs vom Valetparking alle Manschetten haben, steht das Auto über Nacht ja ohnehin immer im direkten Blickfeld und damit leidlich sicher.
Zum Ende der Tour rollt der Kübel in Houston ein letztes Mal vor ein Luxushotel und wieder schauen die Jungs vom Valet Service ein bisschen irritiert, schließlich sind sie in der texanischen Großstadt größere Kaliber meist mit einer fetten Pritsche gewohnt. Doch mit den beiden jungen Aushilfsfahrern arbeitet auch ein alter Hase, der sich sichtlich über das Wiedersehen mit „The Thing“ freut und sich förmlich darum reißt, den Wagen ins Parkhaus zu chauffieren. Denn aufgewachsen ist er in Kalifornien und als er jung war, hatte er selbst einen Kübel, erzählt der Beinahe-Pensionär und kann sich vor Freude kaum mehr ein bekommen: „Dass ich noch einmal ein „Thing“ zu sehen bekomme, das ist ja wirklich eine große Sache.“
Fotos: Benjamin Bessinger/SP-X