Tradition: 50 Jahre Opel Kapitän, Admiral, Diplomat

Opel in der Oberklasse? Was heute wie ein Märchen klingt, war in deutschen Wirtschaftswunderjahren Alltag. Der repräsentative Opel Kapitän platzierte sich zeitweise auf dem dritten Platz der Zulassungscharts, gleich hinter VW Käfer und Opel Rekord. Und die 1964 ergänzten, glamourösen Flaggschiffe Opel Admiral und Diplomat wurden als „Prominentenklasse“ beworben, denn Deutschlands erfolgreichster V8 kam nun aus Rüsselsheim.

Vor 50 Jahren versuchte das Trio aus Opel Kapitän, Admiral und Diplomat („KAD“) sogar die ganze deutsche Oberklasse zu dirigieren, dies mit einem gelungenen Mix aus bezahlbarem Luxus und amerikanischem Glamour. Wer genau hinsah, bemerkte jedoch, dass die KAD-Modelle auf zu kleinem und bedrohlich wackelndem Podest dirigierten. Weshalb Opel im März 1969 mit einer neuen Generation von Kapitän, Admiral und Diplomat nachlegte, die mit technischen Raffinessen überraschte, wie sie weder Mercedes 300 SE noch BMW 2800 boten.

Mit dieser KAD-B-Serie schlug der Blitz sogar vor dem Bonner Bundeskanzleramt ein, denn die erste sozial-liberale Regierungskoalition machte alles anders: Statt auf den vertrauten und teuren Stern setzten nicht wenige Minister und Staatssekretäre auf die Luxusliner mit funkelndem, aber billigerem Blitz. Sogar der futuristische Wankel-Wagen Ro 80 hatte das Nachsehen, wie NSU aus dem Wissenschaftsministerium erfuhr, das den neuen Diplomat mit avantgardistischem De-Dion-Fahrwerk vorzog. Zur Staatslimousine befördert wurden die hessischen V8 durch eine Version mit 15 Zentimeter längerem Radstand, die im Pulk der Pullman-Mercedes bei der Deutschland-Visite des US-Präsidenten Gerald Ford für Furore sorgte.

Ob vor Luxushotels oder auf Vorstandsparkplätzen, die noblen Opel mit sanften 2,8-Liter-Sechszylinder-Motoren oder bärenstarkem 5,4-Liter-V8 zeigten 1969 noch einmal frische Präsenz. Dafür war Opel kein Aufwand zu groß gewesen, wie Cheftechniker Hans Mersheimer beim Pressedebüt der KAD-B-Typen verriet. Die Ingenieure hätten sich erfolgreich gegen die Rotstifte der Kaufleute durchgesetzt, mit dem Ergebnis, dass die Flaggschiff-Baureihe zur aufwändigsten Rüsselsheimer Neukonstruktion der Nachkriegszeit geriet. Schmaler, flacher und kürzer als die im amerikanischen Straßenkreuzerformat gehaltenen Vorgänger fiel die radikal anders gestaltete Prestigeklasse zum Modelljahr 1969 aus. Trotzdem: Obwohl die KAD-B im hauseigenen Designstudio am Main gezeichnet wurden, weckten auch sie Assoziationen an Fullsize-Limousinen aus USA. Dazu trug bei, dass die eleganten Linien im Zusammenspiel mit großen Fensterflächen ein deutlich größeres Format suggerierten als jene 4,90 Meter, mit denen Opel exakt die Dimension der Mercedes S-Klasse traf.

„Wenn Ihre Ansprüche steigen: Opel Admiral mit aufwendiger Technik“, versprach die Opel-Werbung und tatsächlich zeigten alle KAD-B-Typen technischen Feingeist für Kenner. Die starre Hinterachse wurde von einer raffinierten De-Dion-Achse für spur- und sturzkonstantere Radführung abgelöst, die sich sonst nur in Fahrzeugen fand „mit so klangvollen Namen wie Aston Martin, Lancia, Iso Rivolta und Bizzarini“. Letzteres erläuterte das Opel-Marketing potentiellen Kunden in einem eigens aufgelegten Buch mit dem illustren Titel „Der Marquis de Dion und seine geniale Idee“. Auch die Fachpresse zeigte sich beeindruckt und in Vergleichstests mit Mercedes S-Klasse, BMW 2500/2800 sowie Jaguar XJ6 attestierte sie den Opel-Flaggschiffen „souveränes Verhalten“ und „einwandfreie Fahrsicherheit“. Abgerundet wurden die Fahrtalente durch eine optionale pneumatische Niveauregulierung, die nicht nur die Nutzung des riesigen Kofferraumvolumens von 600 Litern ermöglichte, sondern Opels größte Modellreihe auch zur Zugmaschine mit zwei Tonnen Anhängelast befähigte. Die Kehrseite der Medaille: Die KAD-Dickschiffe nahmen keineswegs vermehrt edle Yachten auf den Haken, sondern weiterhin gewaltige Wohnwagen in Schaustellerdiensten oder Viehtransporter. Dabei wollten sich die repräsentativsten Rüsselsheimer endgültig vom Metzger-Image befreien.

Deshalb brillierte die KAD-B-Reihe mit durchdachten Details, die anderen Herstellern zu kostspielig schienen, darunter versenkte Scheibenwischer, verzinkte und entsprechend rostgeschützte Karosserieteile, aber auch vier innenbelüftete Scheibenbremsen für den Diplomat. Für kraftvollen Vortrieb sorgten ein 2,8-Liter-Sechszylinder aus eigener Produktion in drei Leistungsstufen mit bis zu 121 kW/165 PS, alternativ ein von General Motors übernommener 5,4-Liter-V8 mit 169 kW/230 PS und gigantischen 430 Newtonmetern Drehmoment, die sogar den brandneuen 3,5-Liter-V8 von Mercedes deklassierten.

Konkurrenzlos gaben sich Kapitän, Admiral und Diplomat auch in der Preispolitik, denn Opel wusste, was die Stammkunden des Trios wollten: Außen voluminösen Pomp fürs Prestige, innen viel Platz für maximalen Komfort und das zu minimalen Preisen. So kostete der Kapitän kaum mehr als die viel kleineren Vierzylinder BMW 2000 und Mercedes 220, der Admiral unterbot die Sechszylinder-Mittelklasse Mercedes 250 und der vollausgestattete Diplomat V8 war um gut die Hälfte billiger als ein 300 SEL 6.3. Zur optischen Differenzierung von seinen Geschwistern begnügte sich der Diplomat mit modifiziertem Front- und Heckdesign, was seinen Erfolg jedoch nicht schmälerte. Im Gegenteil, gerade der Spitzentyp trug dazu bei, dass Opel 1969 die gewinnträchtigste Division des GM-Konzerns war und nebenbei in Deutschland einen neuen Produktionsrekord aufstellte, mit über 800.000 Autos in einem Jahr. Drei Jahre später überholte Opel dann sogar Volkswagen auf dem Heimatmarkt und wies 20,4 Prozent Marktanteil aus. Das allerdings bereits ohne Kapitän, der schon 1970 von Bord ging, weil die Sechszylinder-Basisversion nur fürs bescheidene Behördengeschäft taugte.

Admiral und Diplomat überstanden dagegen sogar die Stürme der Ölkrise von 1973/74, bis im finalen Modelljahr 1977 allein der Diplomat übrigblieb. Als die Baureihe schließlich im neunten Produktionsjahr ohne direkten Nachfolger eingestellt wurde, endete zugleich eine Ära. Spielte doch das folgende Spitzen-Duo aus Senator und Monza in einer kleineren Klasse, dort wo sich für Opel neue Chancen eröffneten. Die Zeit der Oberklasse-Festspiele mit gleich drei Dirigenten aus Rüsselsheim war unwiederbringlich vorbei, zumal es den preiswerten Sechszylindern und V8 trotz Spezialversionen wie dem viertürigen Cabriolet von den Karossiers Fissore und Karmann schlicht am Prestige kostspieligerer Konkurrenten fehlte.

Immerhin gab es für Connaisseurs und die geltungsbewusste Prominenz aus Sport, Show- und Filmgeschäft ab 1973 extravagante V8-Coupés vom Opel-Karossier Erich Bitter. Dessen Traumwagen nutzten die Technik des Diplomat, während sich die dramatisch gezeichnete Fließheck-Karosserie an der bereits 1969 präsentierten Styling-Studie Diplomat CD orientierte. Opel-Designchef Chuck Jordan hatte dieses Gran-Turismo-Konzept für die Frankfurter IAA realisiert und so dem Diplomat das vielleicht schönste Denkmal gesetzt.

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