Citroën 2CV: 70 Jahre Minimalismus – und Kult

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Es waren 24 Stunden, die die Autowelt veränderten. Am 6. Oktober 1948 ist Citroëns Ente geschlüpft und mit einem völlig neuen federweichen Fahrkomfort hob der für alle bezahlbare 2CV ab zu einem Höhenflug, der erst nach über 5,1 Millionen Exemplaren und 42 Jahren endete. Seinen Ehren-Platz in einer virtuellen automobilen Ruhmeshalle verdankt der bis heute meistgebaute Citroën vor allem seiner minimalistischen Konstruktion, den skurrilen Formen und dem Status des unkonventionellsten französischen Volksautos aller Zeiten. Eine Karriere zum Kultauto, die für den fröhlich schnatternden viertürigen Zweizylinder keineswegs vorhersehbar war. Im Gegenteil: Mit Wellblech-Konturen im Vorkriegslook, extrem spartanischem Innenraum und flatterig wirkender Qualität präsentierte sich der Citroën 2CV bei der Premiere im Grand Palais des Pariser Salon wie ein Gegenpol zu all den glanzvoll inszenierten Luxuskarossen und Nachkriegsneuheiten. Entsprechend verstört fielen die Reaktion von Fachwelt und Publikum aus. Immerhin: So viel Auto für so wenig Geld war den Franzosen bis dahin nicht geboten worden.

Und so standen die Käufer am Ende Schlange, um die neuste Kreation der damals für ihre Ingenieurskunst bereits weltweit bekannten Marke Citroën zu bestellen. Tatsächlich war es das Vertrauen in den Namen Citroën, dass dem 2CV über Gallien hinaus globale Schlagzeilen bescherte, in Japan ebenso wie in der New York Times. Die Amerikaner hatten schon 1938 dem VW Käfer zu seinem Kosenamen verholfen, jetzt feierte die New York Times den „Two-Horsepower Citroën“ als Star der 35. Ausgabe des Pariser Autosalons. Schließlich sei dieses Fahrzeug für alle Franzosen ohne staatlichen Berechtigungsschein bestellbar und mit einem Preis von umgerechnet 600 US-Dollar bezahlbar – anders als die kostspielige neue Vedette von Ford France oder der frische Peugeot 203 im glamourösen US-Style. Auch das amerikanische Time Magazine widmete der französischen Autoshow eine seitenlange Bildstrecke, denn Paris war vor 70 Jahren eine Keimzelle des Weltgeschehens. Nicht nur die Automobilmode wurde an der Seine definiert – oder im Fall des Citroën 2CV diskutiert – auch fast alle anderen Trends begannen hier. Sei es die Geburt des „New Look“ durch Couturier Christian Dior, die Neuvermessung der Architekturwelt durch Le Corbusier oder die Erklärung der Menschenrechte durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen – Frankreichs Kapitale war ein globales Forum. Dazu kamen die Präsentationen neuer Medien wie der Langspielschallplatte oder eines lochkartengesteuerten Rechner – passend zur Definition des „bit“ als kleinster Nachrichteneinheit. Während das 21. Jahrhundert seine digitalen Schatten so schon voraus warf, wurde der Citroën 2CV zum Denkmal des analogen Automobils.

Kein anderes Auto ist sich von den 1930er Jahren bis zum Fall des Eisernen Vorhangs am Ende des Jahrtausends so treu geblieben. Nicht einmal der VW Käfer erfuhr so wenige konstruktive Änderungen wie dieser klassenlose kleine Citroën, dessen Anfänge als Gefährt für die französische Landbevölkerung Legende sind. Sei es das Lastenheft, „zwei Bauern und einen Sack Kartoffeln mit 60 km/h zu transportieren und einen Korb Eier durch ein frisch gepflügtes Feld zu fahren, ohne dass ein einziges zerbricht“. Oder die reduzierte Ausstattung des „Toute Petite Voiture“ (TPV) genannten 2-CV-Prototypen mit lediglich einem Scheinwerferauge, Zelluloid-Fenstern, Bremsen nur an Vorderrädern und billigen Segeltuchsitzen.

Von diesem Vorserien-2-CV ließ Citroën-Generaldirektor Pierre-Jules Boulanger ab 1935 insgesamt 250 Fahrzeuge bauen. Der Zweite Weltkrieg verhinderte zwar die für 1939 vorgesehene Premiere und fast alle Prototypen wurden verschrottet, aber die Entwicklung lief weiter. Das Gefährt, das dann 1948 offiziell 2CV genannt wurde, nach seinen zwei fiskalischen Pferdestärken (tatsächlich leistete der 375 cm³-Zweizylinder 7 kW/9 PS), zeigte schon mehr Attribute eines „richtigen“ Autos und dennoch ließ es keinen Besucher des Pariser Salons unberührt. Dem sozialistischen französischen Staatspräsidenten Vincent Auriol entgleisten gar die Gesichtszüge, als er sich in den Fond des hässlichen Entleins (ein besonders in deutschen Medien verwendeter Spottname) setzen sollte. Und eine französische Satirezeitung lästerte gar: »Eine Konservendose. Modell freies Campen für vier Sardinen«. Andererseits demonstrierten vier elegant gekleidete Mitarbeiter aus der Citroën-Entwicklungsabteilung auf Werbefotos, wie entspannt es sich in der luftigen Faltdachlimousine reisen ließ. Damit weckte Citroën sogar das Interesse japanischer Autobauer an französischen Lizenzfertigungen, auch wenn sich etwa Hino schließlich für Renault entschied.

Seine Faszination im Reigen der europäischen Automessen verdankte der Pariser Grand Palais seinem glamourösen Ambiente, vermittelt durch den einzigartigen Mix aus imposanter Architektur, raffinierter Beleuchtung, exklusivem Dekor und Autos der Haute Couture. Hier mussten die Betrachter des unprätentiösen Citroën einfach hin- und hergerissen sein zwischen Daumen hoch für bezahlbare Motorisierung und einer Grimasse ob des Konzepts mit Details wie Stoffplane statt Heckklappe. Protokolliert wurden diese Publikumsreaktionen vom Citroën-Standpersonal, dessen endlos langer Bericht Pluspunkte umfasste wie das Vertrauen in das Konstruktionstalent der Citroën-Ingenieure, die weiche Federung, bequeme Sitze, das große Raumangebot im Vergleich zu Konkurrenten wie dem Renault 4 CV und die Vorteile gegenüber nur unwesentlich billigeren Motorrädern. Verstörend wirkten in erster Linie der radikale Verzicht auf eine konventionelle, robuste Karosserie und ein klassisches Armaturenbrett. Irritierend wirkten auch der manuelle Scheibenwischerantrieb und die verschlossene Motorhaube, denn das kleine Herz der Ente zeigte sich noch nicht.

Einzige Farbe war grau – eine anfängliche Tristesse im Stil von Henry Fords Model T, das es nur in schwarz gab. Was soll's, dachten die meisten Franzosen und bestellten schon auf der Messe mehr 2CV als Citroën liefern konnte. Weshalb viele Auslandsmärkte wie Deutschland erst Jahre später bedient wurden. Dafür hatte Citroën den 2CV bis dahin bereits reifen lassen. Hierzulande wurde der Zweizylinder erst zum Inbegriff des revolutionären Galliers und dann zum automobilen Accessoire von Aktivisten und Lebenskünstlern. Aber es war immer auch der Komfort zum kleinen Preis, der die Ente zum Multi-Millionenerfolg machte und zum Ideengeber für eine Citroën-Familie, die über Dyane und Pluriel bis zum aktuellen C4 Cactus reicht. Mehr noch: Der nachhaltige Erfolg des Citroën 2CV inspirierte auch andere Kleinwagenbauer den Komfort groß zu schreiben. Seien es Briten mit Hydrolastic-Federung (der Mini und Austin/Morris 1100), der Renault R4 mit Einzelradaufhängung und Drehstabfederung oder sogar der erste VW Polo (1975) mit modernem Fahrwerk, aber primitivster Ausstattung, sie alle adaptierten einen Hauch Enten-Esprit.

Text: Wolfram Nickel/SP-X
Fotos: Citroën Communication

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