Volvo: 50 Jahre Volvo 164

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„Rolls-Royce für die Armen wollten wir ihn nicht nennen, denn er ist ein Volvo für die Reichen“. Unter diesem provozierenden Slogan warben die Schweden vor 50 Jahren für ihr neues Spitzenmodell 164, dessen mächtiger chromglänzender Kühlergrill dennoch an die britische Nobelmarke erinnerte. Damit nicht genug der Ähnlichkeiten: Übernahmen Rolls-Royce-Limousinen in London die Rolle der royalen Staatskarosse, fiel diese Aufgabe in Stockholm dem Volvo 164 zu. Gleich zwei schwedische Könige, Gustav VI. und sein bis heute regierender Enkel Adolf Carl XVI. Gustaf, vertrauten auf den Komfort des einerseits konservativen, andererseits aber auch revolutionären Volvo-Flaggschiffs.

Konservativ wirkten die Front und die kantigen Konturen des bis zu 4,87 Meter langen Viertürers, der vom bis dahin erfolgreichsten Volvo aller Zeiten, dem 1966 vorgestellten Typ 140, abgeleitet war. Zum vornehmen Auftritt des Volvo 164 passte außerdem der bewusste Verzicht auf das Angebot einer Kombiversion. Revolutionär wirkte der Volvo dagegen als erste vollkommen neu entwickelte skandinavische Sechszylinder-Limousine seit den 1930er Jahren. Neben dem bis zu 129 kW/175-SAE-PS starken 3,0-Liter-Benziner und wegweisenden Sicherheitstechniken war es aber vor allem der Luxus nach dem schwedischen Lagom-Prinzip, der die kostspieligste Baureihe aus Göteborg zu einem Fahrzeug formte, wie die Prestigeklasse noch keines gesehen hatte.

„Nicht zu wenig, nicht zu viel, gerade recht“, damit will die im Norden fast wie ein Gesetz geltende Glücksformel Lagom die richtige, gesunde Balance im Leben finden. Übertragen auf Automobile für Staats- und Konzernlenker und berufliche Aufsteiger bedeutet dies, dass Prunk und Protz in Schweden verpönt sind. Ein gesellschaftlicher Trend, der sich in den 1940er und 1950er Jahren so beschleunigte, dass Volvo bis auf die Taxis der 800er Serie alle voluminösen Modelle und Motoren einstellte. Aus dem konservativen, kleinen Göteborger Premiumproduzenten wurde damals ein Volumenhersteller mit technisch anspruchsvollen, aber relativ kompakten Vierzylinder-Modellen wie PV 444/PV 544 („Buckel-Volvo“) und Amazon. Anläufe, dennoch neue V8- und Sechszylinder-Limousinen zu lancieren, endeten in den 1950er Jahren stets im Concept-Car-Stadium. Darunter waren der ausladend proportionierte Volvo Philip mit V8-Machine, aber auch der Volvo P358 mit Sechszylinder-Triebwerk als direkter Vorbote für den Volvo 164. Zu amerikanisch, zu abgehoben, zu wenig distinguiert, lautete jedes Mal das Verdikt, wenn es um eine Serienfertigung ging. Bis Volvo-Designer Jan Wilsgaard ein Geniestreich gelang, mit dem er die Unternehmensführung 1962 für die Rückkehr in die große Klasse gewann.

War es doch Wilsgaard eine Herzensangelegenheit, den sogenannten Plaketten-Kühlergrill des Prototyps P358 in Kombination mit frischem Vier-Augen-Look in einer neuen Sechszylinder-Limousine zu realisieren. Als Basis für den 164 nutzte Wilsgaard die Grundform des gerade aufgelegten Volvo 144 mit kantigen Konturen, großen Fensterflächen und kräftigen Schulterlinien. Ein funktionelles Design, das während der kommenden drei Jahrzehnte zu den Volvo-Markenmerkmalen zählte. Warum nicht einfach den Vorderwagen des Volvo 144 verlängern, damit ein Sechszylinder drunter passt – preiswert entwickelt aus dessen Vierzylinder – und das restliche Fahrzeug inklusive Radstand unverändert lassen? So konnte Wilsgaard die Entwicklungskosten für den neuen Toptyp Volvo 164 auf umgerechnet unfassbar günstige 20.000 Euro begrenzen.

Nicht gespart hatte die neue schwedische Sechszylinder-Liga (anfangs mit Vergaser und müden 96 kW/130 PS für 170 km/h, später mit temperamentvollen, 190 km/h flotten Einspritzern) an inneren Werten, die sich Volvo fürstlich honorieren ließ. So kostete der Volvo 164 am Ende mindestens 27.600 Mark und damit fast das Doppelte des Basistyps Volvo 140. Sogar der BMW 3.0 S oder die vergleichbare Mercedes S-Klasse waren 20 Prozent preiswerter. Andererseits glänzte der Volvo mit serienmäßigen Finessen, wie sie so nur die auf Sicherheitsinnovationen spezialisierten Schweden lieben. Darunter Kopfstützen vorn und optional im Fond, Sicherheitsgurte vorn und optional hinten, Sitzbelegungserkennung für den Beifahrer, eine zweistufige Heckscheibenheizung, Lederfauteuils inklusive Sitzheizung und das neuartige 2×3-Bremssystem, bei dem die Vorderräder von beiden Bremskreisen verzögert wurden.

Tatsächlich war der kostspielige Volvo 164 ein Luxusliner eigener Art, weshalb eine Anzeigenkampagne in großen Lettern frech feststellte: „Sie können einen Volvo erst dann wirklich wertschätzen, wenn sie einen Mercedes gefahren haben“. Im Kleingedruckten folgten dann nähere Erläuterungen: „Es geht nicht darum, wie schnell oder schick ein Volvo 164 ist, es geht darum, wie robust er ist. Der Volvo 164 ist genauso unzerstörbar langlebig wie jeder andere Volvo. Weshalb 90 Prozent aller in den letzten elf Jahren gebauten Volvo noch immer auf der Straße sind. Natürlich können wir ihnen das für ihren 164 nicht garantieren, aber wir vermuten, dass sie ihn mindestens sechs oder sieben Jahre lang deutlich mehr mögen werden als einen Mercedes.“ Worte mit Sprengkraft, zumal der durchschnittliche Neuwagen damals nach sechs Jahren auf dem Schrottplatz endete und die erste Motorrevision oft schon nach 60.000 Kilometern erfolgte.

Dagegen brachte der 3,0-Liter-Sechszylinder (B30) die Anlagen zum Kilometer-Millionär mit, so robust waren Kurbelwelle und andere Komponenten gebaut. Weshalb das Triebwerk auch vom englischen Sportwagenbauer Marcos genutzt wurde und als Volvo-Penta-Bootsmotor für Furore sorgte. „Einen Volvo kaufen ist wie heiraten: Du gehst davon aus, es nur einmal tun zu müssen“, resümierte ein amerikanisches Fachblatt über den „Family Cruiser“ des Typs 164, für den die USA wichtigster Absatzmarkt waren. Abgesehen von Schweden: Den dortigen Lagom-Lifestyle traf der Luxusliner so perfekt, dass er sich sofort als populärster Sechszylinder in den Verkaufscharts platzierte. In Deutschland kam es dagegen nur zu Achtungserfolgen. Facegeliftet und mit geringfügig verlängertem Radstand erzielte der Volvo 164 hierzulande 1973 sein bestes Jahresergebnis, dazu genügten dem Wikinger knapp 1.000 Einheiten. Immerhin drei Mal so viele Zulassungen wie Fiat mit seinem Sechszylindertyp 130 und fast so viele Einheiten wie Opel mit den vergleichbaren Admiral E und Diplomat E erreichte. Sogar der um ein Drittel billigere Ford Granada 3000 wurde nicht wesentlich besser verkauft.

Allerdings war der Volvo 164 auch zukunftsgerichteter als diese Konkurrenten. So zählte er ab Ende 1974 zu den ersten Serienfahrzeug weltweit mit Katalysator und für die Evolution zum Volvo 260 genügten ihm 1975 eine andere Front- und Heckgestaltung. Damit blieben die Flaggschiffe bis Mitte der 1980er Jahre in Bestform, jetzt sogar als Coupé, Kombi und zweitürige Limousine. Unaufdringlicher Luxus und Volvo passten endgültig perfekt zusammen – Lagom sei dank.

Text: Spot Press Services/Wolfram Nickel
Fotos: Volvo

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