Es begann mit einem Drachenfest, damals vor 25 Jahren, als Kia mit dem Familienauto Sephia nach Deutschland kam. Hunderte roter Drachen mit dem Kia-Signet stiegen über das Rheintal bei Bonn, für den zweitgrößten koreanischen Autobauer ein Auftakt höchster Symbolkraft. Schließlich wurden in Asien schon im Mittelalter Schlachten mit Signaldrachen koordiniert. Und ein erfolgreicher Start auf dem besonders umkämpften deutschen Markt galt für den bereits 1944 gegründeten Automobilkonzern als ultimativer Beweis internationaler Konkurrenzfähigkeit.
Zwar stammten schon die ersten in Korea entwickelten Benzin- und Dieselmotoren von Kia, in den weltweiten Pkw-Verkaufszahlen setzte sich jedoch Hyundai ab den 1980er Jahren an die Spitze. Ein Vorsprung, den Kia mit dem 1991 vorgestellten Kompaktklasse-Modell Sephia egalisieren wollte. Dafür erfolgte 1992 der Sprung nach Nordamerika, ein Jahr später startete der Sephia auch in Deutschland. Die erste Importzentrale von Kia lag bei Lada in Neu Wulmstorf und auch der Vertrieb erfolgte anfangs über Lada-Händler. Diese suchten nach dem Mauerfall händeringend ein neues Produkt, um die rückläufigen Verkaufszahlen der russischen Preisbrecher zu kompensieren. Tatsächlich sprach auch für den Sephia ebenso wie für alle anderen frühen Kia vor allem der Preis. Umso größer war die Sensation, als der frühere VW-Konzern-Designchef Peter Schreyer den Billiganbieter ab 2006 rekordverdächtig schnell mit Charisma auflud. Mehr noch, mit Modellen wie dem Stinger verschafft sich Kia heute schon ersten Respekt im Premiumsegment.
Vor allem aber befindet sich der Autohersteller mit inzwischen rund zwei Prozent Marktanteil in Deutschland auf Augenhöhe mit Importeuren wie Peugeot, Nissan oder Mazda. Marken, die alle bereits Modellreihen auf Platz eins der Importcharts gebracht haben, nun aber fürchten müssen, von Kia abgehängt zu werden.
Optisches Kennzeichen des aktuellen Kia-Programms ist die unter Peter Schreyer entworfene sogenannte Tigernase. Ein zutreffendes Stilelement für die hungrigen Koreaner, die von Beginn an so sehr nach dem ganz großen Erfolg gierten, dass sie sich mehrmals heftig verschluckten. Im Zuge der asiatischen Finanzkrise im Jahr 1998 sogar so sehr, dass der Konzern erst unter Konkursverwaltung kam und schließlich Kia Motors vom Konkurrenten Hyundai übernommen wurde.
Auch in Deutschland kam Kia auf der Geraden zum Erfolg oft genug durch Schlaglöcher ins Stolpern und manche Modellreihe endete in einer Sackgasse. Wer kennt noch Namen wie Clarus und Cerato, Besta, Joice oder Opirus? Während erstere unauffällige Mittelklasse- und Kompaktwagen waren, stand der Besta für den billigsten Kleinbus auf dem deutschen Markt und der Joice für eine preiswerte, aber phantasielose Alternative zum ersten Renault Scénic. Opulente Linien, die nur Asiaten und Amerikaner lieben, machten den Opirus zum luxuriösen Ladenhüter. Sogar die verwegenen Hardcore-Offroader Rocsta und Retona sowie der aufregende Kia Roadster – ein umetikettierter Lotus Elan – aus den 1990er Jahren sind heute vergessen, zeigten aber eine erstaunliche Kreativität der Koreaner im Aufspüren von Marktnischen und Möglichkeiten, ihre Marke bekannt zu machen.
Dazu zählten beim Deutschlandstart auch Marketinggags wie das Drachenfest über dem Himmel der Bundesstadt Bonn und großzügige Garantieversprechen für den vier- oder fünftürigen Sephia, der mit einer Länge von 4,28 Metern fast Mittelklasseformat erreichte. Innovationen bot der Neuling nicht, aber die Qualität stimmte. Schließlich hatte Mazda technische Entwicklungshilfe geleistet, ebenso wie beim später eingeführten Kleinwagen Kia Pride, der dem bei Mazda damals bereits ausgemusterten 121 erster Generation entsprach. Käufer mit knappem Budget störte es nicht. Sie beförderten den 3,57 Meter kurzen Fünfsitzer zum ersten echten Erfolgsmodell für den fernöstlichen Hersteller, der damit zeitweise sogar die Preise von Lada unterbot.
Endgültig auf dem deutschen Markt verankern konnte sich Kia durch das beim Karossier Karmann gefertigte SUV Sportage. Ein damals trendiger Offroader, der in Korea Anlass zum Umdenken gab. So wurde 1995 Kia Motors Europa ins Leben gerufen und Kia Deutschland von Lada strikt getrennt. Zwei Jahre später firmierte die deutsche Kia-Importzentrale neu und wechselte zusammen mit Kia Europa nach Bremen. Eine Interimslösung während der Asien-Krise, die zu einem Rückgang der Kia-Jahresproduktion von 730.000 auf 460.000 Autos im Jahr 1998 führte. In Deutschland waren es nun auch nur 14.000 Einheiten, aber aufsehenerregende Autos wie der von Lotus übernommene Roadster und der 1999 lancierte siebensitzige Van Carnival zu Preisen bis 40 Prozent unter dem Wettbewerb hielten Kia ebenso im Gespräch wie die 1998 eingeführte Fünf-Jahres-Garantie.
„Aufstieg aus Asien“, bedeutet Kia wörtlich übersetzt und eine entsprechende Entwicklung im Eiltempo gelang dem Hersteller als Bestandteil des Hyundai-Konzerns mit dem 2002 lancierten Sorento. Das SUV Sorento startete als preiswerter Wettbewerber zur Mercedes M-Klasse und BMW X5 – und fand auf Anhieb eine Fangemeinde, die bis zu 18 Monate Lieferzeit in Kauf nahm. Hinzu kamen der neue Kleinwagen Picanto, der erste Rio im Stil eines Shootingbrakes und ein frischer Sportage. Bis zum ganz großen Durchbruch dauerte es noch fünf Jahre, die für Investitionen in europäische Standorte benötigt wurden. Im Jahr 2007 war es soweit. Kia feierte einen Jahresabsatz von mehr als 50.000 Einheiten und die Premiere des kompakten Ceed. Dieser war nicht nur in Europa (Rüsselsheim) entwickelt worden, er wurde auch im neuen slowakischen Werk produziert. Sein deutsches Hauptquartier hatte Kia unterdessen in Eschborn bei Frankfurt und 2013 im Herzen der Mainmetropole bezogen.
Seit zehn Jahren ist fast jeder speziell für Europa konzipierte Kia ein Treffer, nicht zuletzt ein Verdienst des Konzerndesigns aus namhafter Künstlerhand. Während der von BMW geholte Thomas Bürkle das Design der europäischen Hyundai-Modelle prägt, machten die Asiaten den ehemaligen VW-Chefdesigner Peter Schreyer gar zum Herrn über das weltweite Design von Hyundai und Kia. Wenn dennoch einzelne Kia-Modelle wie etwa der kubisch geformte Soul hierzulande nur Nebenrollen besetzen, liegt das daran, dass sie eigentlich für den außereuropäischen Geschmack entworfen wurden. Aber der Mut zu Nischen gehört inzwischen ebenso zum selbstbewussten Auftritt des Herstellers wie ein heutzutage überraschendes Bekenntnis zur Antriebsvielfalt. So setzt Kia nicht nur auf die Elektrifizierung der Antriebe, mehr als viele Europäer treiben die Koreaner auch die Entwicklung von Dieselmotoren weiter. Nur in einem Punkt ignoriert die Marke Potential: Die Traditionspflege spielt nur eine kleine Rolle, wie sich beim aktuellen Jubiläum zeigt. Da haben sogar die japanischen Importeure in Deutschland viel Vorsprung.
Text: Wolfram Nickel/SP-X
Fotos: Kia/SP-X