NSU: 60 Jahre Nachkriegs-Pkw

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Es war wie im Märchen, nahm allerdings kein gutes Ende. Mitte der 1950er Jahre waren die Neckarsulmer NSU Werke der weltgrößte Hersteller von Zweirädern, doch die Schatten einer großen Zweirad-Krise standen bereits an der Wand. Mit wachsendem Wohlstand durch das Nachkriegs-Wirtschaftswunder wuchsen die Ansprüche an die Mobilität, statt eines Motorrades wünschten sich die Käufer nun ein richtiges Auto. Bei dem 1873 gegründeten Traditionsunternehmen NSU fiel deshalb die Entscheidung, nach fast 30-jähriger Abstinenz wieder in die Pkw-Produktion einzusteigen und dies nicht mit einem Kabinenroller wie viele Konkurrenten, sondern mit einem vollwertigen Kleinwagen. Es war die Geburtsstunde des NSU Prinz, eines pfiffigen Flitzers, der die Herzen der Deutschen ab 1957 im Sturm eroberte, zumal er Gründer einer ganzen Prinzen-Garde wurde. Das zunächst winzige Zweizylindermodell wuchs 1961 zu einem familientauglichen Kleinen, der es bald als scharfer Prinz TT zum Image eines Porsche- und Alfa-Jägers brachte. Apropos Alfa Romeo, die Italiener verdanken ihren Aufstieg in der Bundesrepublik ebenfalls NSU, denn die Neckarsulmer ergänzten ihr Modellprogramm anfangs durch die verführerische bella macchina. Bis der zweite Geniestreich zündete, mit dem NSU Technikgeschichte schrieb. Der Kreiskolbenmotor, die Erfindung des Ingenieurs Felix Wankel, ging in den revolutionären Modellen NSU Spider und Ro 80 in Serie. Allerdings überstieg diese Pionierleistung das Budget bei NSU, weshalb die Marke seit 1969 mit Audi zum VW-Konzern gehörte.

Sie wurde als Kleinwagen- und Wirtschaftswunder-IAA gefeiert, standen doch vor allem Aufsteigermodelle für bisherige Rollerfahrer im Rampenlicht der Frankfurter Automobilausstellung 1957. Die Ära der Zweiräder hatte den Zenit hinter sich, stattdessen wurden familientaugliche Kleinwagen zum Objekt der Begierde. Darunter eine Fülle von Novitäten wie BMW 600, Fiat 500 oder Lloyd Alexander – und als Überraschung der erste Kleinwagen des weltgrößten Motorradherstellers NSU. Mit zeittypischem Heckmotorkonzept, aber sportlicher Ausrichtung sollte der NSU Prinz eine neue Marktnische öffnen, wovon NSU nach zähem Ringen auch seine Zweirad-Händlerschaft überzeugte. Händler, denen dieses einzige Auto-Modell nicht genügte, durften fortan auch Alfa Romeo Giulietta oder Sprint verkaufen. Denn Alfa suchte einen deutschen Vertriebspartner und NSU wiederum erhoffte sich das kleinwagenverliebte Italien als wichtigsten Exportmarkt. Eine Kooperation von der Neckarsulm besonders profitierte, denn die Italiener schlossen die lebhaften und sparsamen Zweizylinder-Prinzen ins Herz, eine Amore die über vier Prinz-Generationen hielt.

Tatsächlich attestierte die Fachpresse der kleinen NSU-Familie aus Prinz I bis III sportliches Temperament ob ihrer vergleichsweise lebhaften, bis zu 22 kW/30 PS entwickelnden Zweizylinder-Triebwerke. Erster Imageträger wurde 1959 der Sport-Prinz, ein elegantes Coupé im Design des Edelcouturiers Bertone. Mit dem Sport-Prinz folgte NSU dem Vorbild des VW Karmann-Ghia, der zuverlässige Technik in spektakulär-schnelle Formen verpackte. Für globales Aufsehen sorgte der Sport-Prinz vier Jahre später in Spider-Karosserie mit dem weltweit ersten Serien-Kreiskolbenmotor. Dieses immerhin 37 kW/50 PS freisetzende Einscheiben-Wankelaggregat sicherte dem Rotarier bei Bergrennen und auf Rundstrecken viel sportlichen Lorbeer, allerdings verhinderten hohe Preise und mangelnde Zuverlässigkeit vordere Plätze in den Zulassungsstatistiken.

Trotzdem galt das von Felix Wankel erfundene Motorenprinzip in der Fachwelt als Motor der Zukunft. Schließlich bietet der von NSU 1958 erstmals ins Laufen gebrachte Kreiskolbenmotor gegenüber dem konventionellen Hubkolbenmotor beträchtliche Vorteile. Bei gleicher Leistungsstärke lässt sich der Rotarier wirtschaftlicher produzieren, ist kompakter und wiegt etwa ein Drittel weniger. Ersetzen doch rotierende Scheiben das Auf und Ab der Kolben mit dem Resultat außergewöhnlicher Laufruhe und minimaler Lärmemissionen. Kein Wunder, dass ab 1958 nach und nach die meisten namhaften Motoren- und Autohersteller wie Curtiss-Wright, Alfa Romeo, Daimler-Benz, GM, Mazda, Nissan, Porsche oder Rolls-Royce zu den NSU-Lizenznehmern zählten. Aus den Lizenzeinnahmen wollte NSU die Wankel-Entwicklungskosten bezahlen, was jedoch nur ansatzweise gelang. Treuester Lizenz-Geldgeber war übrigens Mazda.

Die Japaner gründeten schon 1963 ein Rotary Engine Entwicklungszentrum, das ein Jahr später in einem Prototyp den ersten weitgehend serienreifen Zweischeiben-Kreiskolbenmotor vorstellte – und damit NSU zuvor kam. Dafür blieb den Deutschen der Triumph des ersten Serienautos. Allerdings sollte der Wankel Spider nur der notwendige Entwicklungsschritt sein auf dem Weg zum Zweischeiben-Großserienmodell, der 1967 eingeführten, avantgardistischen Flaggschiff-Limousine NSU Ro 80. Abrunden sollte die NSU-Modellpalette 1969 das Mittelklassemodell K 70, das aber letztlich nicht als Wankel, sondern als traditioneller Vierzylinder zur Serienreife entwickelt wurde. Hatte die NSU-Marktforschung doch 1967 ergeben, dass die Deutschen in der Mittelklasse konservativ dachten und dem neuen Motortyp noch nicht trauten.

Unbedingtes Vertrauen hatten die Käufer dafür in die Kleinwagenkompetenz von NSU. „Fahre Prinz und du bist König“ lautete das NSU-Werbemotto zur Markteinführung der Minis mit innovativer, schraubengefederter Hinterachse. Mehr noch als die Kunden wurde aber NSU König, denn mit dem Prinz und seinen späteren Ausbaustufen TT und TTS avancierten die Neckarsulmer zur deutschen Nummer eins in der kleinen Klasse. Mit sportlichen Doppelscheinwerfern und auffälligem TT-Schriftzug auf rallyeschwarzem Hintergrund statt der bei den ganz großen Heckmotor-NSU-Typen 110 und 1200 C üblichen Chromkühlergrillattrappen räumte der heißblütige TTS die Überholspur frei. 51 kW/70 PS genügten dem Leichtgewicht, um im Sprint auf Tempo 100 mit dem Porsche 912 mitzuhalten.

Trotzdem füllten sich die chronisch klammen NSU-Kassen durch die Kleinwagenbestseller nicht genügend. Schon seit 1965 suchten die Neckarsulmer deshalb nach einem starken Partner, aber AMC, Simca und British Leyland lehnten ab. Allein Wankel-Lizenznehmer Mazda war interessiert – und erhielt von NSU eine Abfuhr. 1967 gab es dann erste Kontakte zu VW, die 1969 zur Gründung der Audi NSU Auto Union AG unter dem Dach des Volkswagenkonzerns führten. Es war eine Unternehmensverschmelzung, die für NSU eine existenzielle Krise löste. In die Ehe mit Audi brachte NSU die Mitgift des künftigen VW-Flaggschiffs K 70 und den Rotarier Ro 80. Der Preis, den NSU für die Fusion zahlte war allerdings hoch: Vier Jahre später kam das Aus für den Prinz und mit dem Ende des Ro 80 verschwand 1977 das Neckarsulmer Logo gänzlich von Motorhauben. Heute erinnern allein die TT- und TTS-Signets auf Audi Sportlern an NSU und seinen „König der Berge“, wie die Werbung den stärksten Prinz nannte.

Text: Spot Press Services/Wolfram Nickel
Fotos: Audi, NSU/SP-X

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