Opel: 60 Jahre Olympia Rekord P1

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America First, diese heute wieder aktuelle Doktrin verfolgten die Detroiter Autogiganten schon vor 60 Jahren auf ihre eigene Art. So entwickelten die deutschen Töchter von Ford und General Motors ausschließlich Modelle nach amerikanischem Geschmacksmuster – und fuhren überraschend gut damit. Bester Beweis ist der vor 60 Jahren (1957) vorgestellte Opel Olympia Rekord P1 mit opulenten Chrom-Ornamenten, brillanter Zweifarblackierung, modischen Heckflossen und Panoramascheiben, der sogar den gleichfalls neuen Ford Taunus 17 M auf die Plätze verwies, vor allem aber den VW Käfer attackierte.

Dafür war der Mittelklasse-Opel nach bewährtem amerikanischem Baukastensystem entwickelt worden und bot deshalb bereits als billiger Basistyp Olympia schicken Glanz für Käfer-Aufsteiger. Für ein paar Hunderter mehr gab es einen Hauch Hollywood-Glitter in der Ausstattung Olympia Rekord. Wer glamourös über Berliner Kudamm oder Düsseldorfer Kö cruisen wollte, konnte ein kostspieliges Cabriolet oder Coupé vom Karossier ordern. Und für Campingausflüge oder Sehnsuchtsziele wie die Riviera gab es den Rekord als stylischen Caravan, der so das ganze Kombisegment gesellschaftsfähig machte. „Die Schönheit des Rekord bringt Gewinn“, erklärte die Opel- Werbung und meinte damit unbeabsichtigt auch die Konzernkasse. Denn der Rüsselsheimer im US-Traumwagendesign lockte auf dem GM-Heimatmarkt neue Kunden in die Schauräume der Buick-Händler. Hatten diese doch mit dem Opel endlich einen Pfeil im Köcher, der dem VW Käfer das Leben ein klein wenig schwerer machte.

Tatsächlich war das von Beginn an eine Mission für die 1,5-Liter-Mittelklasse, die deshalb ab 1959 auch als schmucklose Sparversion Opel 1200 bereit stand. Zunächst aber gab der reichlich dekorierte Olympia Rekord P1 der ganzen Marke ein ausdrucksstarkes Gesicht mit mächtigem Chromgrill, dem sogenannten Haifischmaul im Stil des 56er Buick Roadmaster. Weitere Symbole für neues Selbstbewusstsein waren wuchtige Chromstoßstangen und weit vorgestreckte Rundscheinwerfer. Attribute, die vorläufig alle neuen Opel-Modellreihen kennzeichneten und die in Amerika Anerkennung fanden. „Für den Anlauf des USA-Exports rechnen wir ab September mit monatlich tausend Rekord und Caravan“, verkündete Opel-Verkaufsdirektor Hans Schnabel im Sommer 1957 bei der Pressevorstellung der 1,5-Liter-Vierzylinder. Tatsächlich verfing der laut Werbung „German made American Style“ bei den Amis so sehr, dass sofort lange Lieferzeiten anfielen. Dabei störten sich die Kunden im Land der PS-gewaltigen Straßenkreuzer weder an der schmalbrüstigen Leistungsausbeute von 33 kW/45 PS bis 37 kW/50 PS – ab 1960 gab es optional 40 kW/55 aus 1,7-Liter – noch an der für Amerika untypischen Modellkontinuität. Immerhin blieb dieser Opel gut fünf Jahre optisch fast unverändert in Produktion, nachdem sich der Vorgänger noch jährliche Facelifts gegönnt hatte.

Wohlstand muss Eindruck machen, das wussten die Werbestrategen in der wirtschaftlich prosperierenden Bundesrepublik mit ihren traumhaften Wachstumsraten. Die vollbeschäftigte Bevölkerung brauchte neue Statussymbole und die Industrie lieferte. Waren es in der Wohnung Wohlstandsinsignien wie barocke Möbel, Musiktruhen und erste TV-Empfänger, verdrängten auf der Straße ausgewachsene Automobile die Zweiräder und Kleinwagen. Mit repräsentativen Modellen konnten Familienväter beim samstäglichen Waschritual allen neidischen Nachbarn zeigen: Wir haben es geschafft. Der Panoramascheiben-Rekord P1 (P = Panorama) war prädestiniert für diesen Schaulauf, wie der heute kaum noch vorstellbare Beifall begeisterter Passanten unterstrich, als die ersten Opel im Buick-Style auftauchten. Kein Wunder, dass Opel die Panorama-Designlinie des Rekord auf den repräsentativen Kapitän des Jahrgangs 1958 übertrug – und einen Flop lancierte. So schnelllebig waren jene Jahre und so streng waren die Merkmale in der hierarchischen Gliederung der automobilen Gesellschaft.

Unten waren Kleinstwagen, darüber der Volkswagen Käfer, dann Opel Rekord und Borgward für erfolgreiche Aufsteiger und als Krönung schließlich Opel Kapitän und Mercedes-Benz. Dazwischen platzierten sich alle anderen. Aufgebrochen wurde diese Struktur 1957 allerdings durch den Taunus 17 M (P2), der genau wie der Rekord US-Pracht zu kleinem Preis bot. Trotzdem ließ sich der Rüsselsheimer die Rolle des Platzhirsches unter den Mini-Straßenkreuzern nicht nehmen. „Keine Experimente“, mit diesem simplen Slogan errang die CDU/CSU unter Kanzler Konrad Adenauer 1957 die absolute Mehrheit bei den Bundestagswahlen und ähnlich entschieden die deutschen Autokäufer. Der Rekord stürmte deshalb sofort auf Platz zwei der Verkaufscharts hinter dem Käfer und hielt die Mittelklasse-Konkurrenz klein. 92.410 Neuzulassungen zählte Opel im Jahr 1958, gefolgt von 26.651 Ford 17 M, gerade einmal 9.100 Borgward Isabella und nur einigen Hundert Importen wie Peugeot 403 und Citroën ID/DS. Eine Rangfolge, die erst 1960 durch den stromlinienförmigen Taunus 17 M (P3) in Gefahr geriet. Aber Opel legte nach und führte im August 1960 den Rekord P2 in nüchterner Eleganz ein. Der Name Olympia war damit vorläufig Geschichte, nicht aber die Erfolgsstory des Modells in US-Traumwagenkarosserie.

Brachte doch die deutsche GM-Tochter im Herbst 1959 den Opel 1200 als direkten Konkurrenten zum Volkswagen 1200 auf den Markt. Ein 29 kW/40 PS leistendes Sparmodell, das die Wartezeit bis zum Debüt des Kadett Ende 1962 überbrückte. Es fehlte dem Opel 1200 zwar an Chromschmuck und Temperament – die Fachpresse empfahl Tempo 100 für Autobahnen – aber dafür bot der Spar-Opel seinen 31.000 Käufern viel Auto fürs Geld. Denn mit 5.675 Mark kostete er nur wenig mehr als der Käfer und auch Winzlinge wie der Austin Mini waren nicht billiger.

Die ganz große Gesamt-Stückzahl von fast 890.000 Einheiten sicherte sich die Baureihe mit dem Blitz auf der Buick-Front durch ihre Vielseitigkeit und dazu zählten kostspielige Coupé- und Cabriolet-Umbauten des Karossiers Autenriethin Darmstadt ebenso wie internationale Sonderserien. So fertigte das Schweizer GM-Werk in Biel für die Eidgenossen den Rekord Ascona und Südafrika produzierte den Rekord Pickup, der sogar nach Europa gelangte. Handwerker liebten den geschlossenen Opel Lieferwagen und dem Caravan genannten Kombi gelang es, das nüchterne Transportersegment mit Freizeit-Image aufzuladen.

Als erster Rekord fuhr dieser Opel 1959 optional viertürig vor, Familien bevorzugten jedoch weiter den Zweitürer, in dem die hinten sitzenden Kinder vermeintlich sicherer untergebracht waren. Überhaupt das Thema Sicherheit: Auch damit punktete Opel in jenen Jahren steil steigender Unfallzahlen, denn Lenkrad und Armaturen waren aufprallentschärft und der Zubehörhandel hielt Zweipunktgurte bereit. Zum „Traumwagen für Realisten“ – so die Werbung – machte den Rekord aber seine Langlebigkeit. Motorenlaufleistungen von 200.000 Kilometern, das schafften nur wenige. Was den Rekord P1 aber nach Produktionsende nicht vor dem Aussterben schützte.

Text: Wolfram Nickel/SP-X
Fotos: Opel/SP-X

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