60 Jahre Autos im Trapez-Design

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SP-X/Köln. Er war Pininfarinas Lieblingsfahrzeug. Der Lancia Florida II war ein Auto in so formvollendeten Trapezlinien, dass es der italienische Stardesigner als einziges bis zu seinem Tod regelmäßig nutzte und dass Kunstwerk auf Rädern angeblich sogar gerne in den Himmel mitgenommen hätte. Kein Wunder, dass dieser von Battista Pininfarina höchstpersönlich karossierte Lancia Mode machte und seine klare, scharfkantige Trapezform vorübergehend alle folgenden Modelle aus den Ateliers in Grugliasco prägte. Darunter der Lancia Flaminia als Serienversion des Florida, aber auch Austin Cambridge und fünf weitere BMC-Modelle, die Peugeot 404-Familie sowie der japanische Nissan Cedric. Und doch war das erst der Anfang eines bis dahin noch nie erlebten globalen Hypes um ein Designkonzept.

So stellte Pininfarina Anfang der 1960er Jahre bei der Frankfurter IAA nicht ohne Stolz fest, dass 90 Prozent aller neuen Autos Stilelemente seiner Lancia Florida und Flaminia Coupés zitierten. Waren es zunächst Pininfarinas italienische Kollegen Bertone (Alfa, BMW, Mazda etc.), Frua (BMW, Glas, Maserati), Michelotti (Nissan, Triumph) und Vignale (Lancia), die das Trapez adaptierten, sprangen schließlich auch die Hausdesigner europäischer und amerikanischer Marken auf den trapezförmigen Zug der Zeit. Ob DDR-Volkswagen Trabant 601 oder gigantischer Lincoln Continental, kleiner BMW 700 oder dynamischer Mercedes 230 SL, das Trapez kannte viele Spielarten und war während der Wirtschaftswunderjahre der dernier cri.

Am Anfang der neuen automobilen Mode für Millionen stand die Erfindung der selbsttragenden Karosserie, bei der Fahrgestell und Aufbau des Autos zu einer Einheit zusammengefasst sind und ein massiver Rahmen obsolet ist. Diese Konstruktionsform war kein Kind des Krieges – Lancia Lambda (1922), Citroën 11 CV (1934) und Olympia Olympia (1935) waren frühe Vorboten – aber endgültig setzte sich diese Bauform erst nach dem Zweiten Weltkriegs durch. Die selbsttragende Karosserie machte alles anders, statt maßgeschneiderter Aufbauten von Karossiers gab es jetzt einheitliches Design in zeitgeistiger Pontonform. So wie sie 1949 der Borgward Hansa oder ein Jahr später die drei Italiener Lancia Aurelia B10, Fiat 1400 und Alfa Romeo 1900 verkörperten.

Ein Trend, der für die unabhängigen Karosseriebauer existenzbedrohend war, gab es doch nun das komplette Auto ab Werk.In dieser kritischen Situation entwickelten die italienischen Formenkünstler, allen voran Pininfarina und Bertone, neue Kreativität. Erstmals schneiderten sie Maßanzüge für bezahlbare Großserienmodelle. So erledigte Bertone ab 1954 Auftragsarbeiten für Alfa Romeo und Pininfarina landete ein Jahr später den Coup, fortan als Hausdesigner und vorübergehend auch Hersteller für Peugeot zu arbeiten. Allianzen, die finanzielle Unabhängigkeit und Spielraum für frische Formenfindungen sicherten. So präsentierte Pininfarina 1955 auf dem Turiner Autosalon ein völlig neues, verführerisch schönes Hardtop-Coupé ohne B-Säule auf Basis des Lancia Aurelia B56: Den Lancia Florida.

Eine Stilstudie, die Geschichte schrieb, als sie im Januar 1956 zum Viertürer im klaren Trapezdesign weiterentwickelt wurde, aus dem dann der in Serie gebaute Lancia Flaminia hervorging. Was war neu an diesen Lancia in Pontonform? Vor allem die geometrischen, kantigen Linien – betont durch Zweifarblackierungen – mit klar gegliederten drei Volumina und einer fast schwebend leichten Dachkonstruktion. Dazu große Glasflächen und die aus den USA inspirierte Panoramascheibe für bessere Rundumsicht, die sich letztlich aber als eher teuer und wenig praktisch erwies. Hinzu kam ein neuer breiter, jetzt über die ganze Wagenfront verlaufender Kühlergrill.

Vielleicht war es Pininfarinas Verbindung nach Frankreich, die ihn veranlassten, die in der Haute Couture bei Dior durch Yves Saint Laurent propagierte Trapezlinie mit ihren geometrischen und großzügigen Schnitten zu adaptieren. Auf jeden Fall breitete sich das Trapez in der Autowelt ähnlich rasant aus, möglich machten das frühe Weltautos. So modellierte Pininfarina für Peugeot das Mittelklassemodell 404, das im Frühjahr 1960 von der Fachwelt für seine Linie „à l'italienne“ gelobt wurde, mit großen Fensterflächen, die viel Licht in den Innenraum ließen. Hinzu kamen eckige Formen, die trotz kurzer Außenabmessungen viel Platz für die Passagiere ermöglichten.

Tatsächlich war der Peugeot 404 kompakter als sein Vorgänger 403, wirkte aber dennoch hochwertiger und eine Klasse größer. Fast drei Millionen Käufer auf allen Kontinenten begeisterten sich für den Peugeot 404 und so verzichtete die Marke aus Sochaux darauf, den italienischen Stardesigner zu sanktionieren. Denn dieser hatte das Designmuster der französischen Mittelklasse auch an die britische BMC verkauft. Der Vielmarkengigant sorgte schon 1959 mit Austin Cambridge, MG Magnette, Morris Oxford, Riley 4/68, Vanden Plas Princess und Wolseley 15/60 für Verbreitung der „Farina-Line“ in allen Winkeln des jungen Commonwealth.

Auch die zeitgleich eingeführten Fiat-Flaggschiffe 1800 bis 2300 sowie die gleichnamigen Seat-Limousinen ähnelten dem strengen Pininfarina-Trapezschema, entstanden jedoch unter Dante Giacosa, dem kongenialen Fiat-Designchef. Eine Mode, die Pininfarinas italienische Kollegen Bertone, Vignale und Ghia ebenfalls adaptierten und bis nach Japan verkauften. Denn dort ging Mazda 1962 eine Designkooperation mit Bertone ein, die Erfolgsmodelle wie den Luce hervorbrachten, Pininfarina arbeitete für Nissan (Cedric), Vignale für Daihatsu und Hino gewann Designpreise für Michelotti-Entwürfe. Und in Nordamerika ersetzten Couturiers wie Ford-Designer Elwood Engel schwülstige Flossen durch klare Kanten, so am 1961er Straßenkreuzer Lincoln Continental Hardtop Sedan.

In Deutschland zollte damals sogar Wilhelm Karmann, Chef des europaweit größten Karosseriewerks, seinem Konkurrenten Pininfarina Respekt, weil dessen Geschmack Modetrends setzte, die hierzulande wie eine Schablone aufgegriffen wurden. War der BMW 700 noch unter Mitwirkung von Michelotti entstanden, presste Mercedes mit dem Modell 220 S von 1959 schon Trapezelemente ins Blech. Ganz klar waren die flachen und gestreckten Silhouetten dann bei DKW Junior oder Opel Kapitän A, während der Mercedes 230 SL im Jahr 1963 nicht nur das Pagodendach berühmt machte, sondern auch die Trapezlinien in ein GT-Konzept transferierte. Besonders dynamisch gaben sich die BMW Neue-Klasse-Familie und die Glas-1700-Limousinen, beide unter italienischem Einfluss entstanden.

Als letzte widmeten sich die Schweden dem konsequenten Wechselspiel von Kanten und Geraden. 1966 startete mit dem Volvo 144 die bis ins 21. Jahrhundert dauernde Ära kantiger Skandinavier. Ebenso lange dauerte die Produktionszeit des vor 50 Jahren lancierten und straff gezeichneten Fiat 124, der als Lada noch heute im Straßenbild der früheren Ostblockländer gegenwärtig ist. Was mit dem Lancia Flaminia 1957 als Modetrend in Serie ging, erwies sich als Design fast für die Ewigkeit.

Text: Wolfram Nickel/SP-X
Fotos: Hersteller/SP-X

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