Nissan: Fünf Generationen Micra

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Nicht nur die starken und großen Fahrzeuge setzen auf der weltweit größten Motorschau in Paris die Glanzlichter. Seit jeher faszinieren gerade in der französischen Metropole auch die automobilen Minis die Massen.

Zu erleben war dies in den vergangenen Tagen einmal mehr am Nissan-Stand, wo die fünfte Generation des kleinen Micra unter dem Eiffelturm debütiert und in demonstrativ dynamischem Design die 35-jährige Erfolgsstory ihrer vier Vorgänger fortschreiben will. Eine Kleinwagendynastie, die längst zum Multi-Millionenerfolg wurde, ganz so wie der englische Mini. Aber anders als der namensähnliche Kultknirps aus Oxford folgt der Micra in seiner Formensprache dem Credo des Philosophen Heraklit „Nichts ist so beständig wie der Wechsel.“

Damit erwarb er sich den Ruf eines preiswerten und unverwüstlichen Sympathieträgers, der zum Start klare Kante zeigte, ab der zweiten Generation mit Kuscheltieroptik Frauen und junge Autofahrer ins Herz traf und als Nummer drei Kulleraugen-Scheinwerfer und eine „simpelligente“ Kunstsprache zum letzten Schrei machte. Nicht fehlen, durften fröhliche Lifestyletypen wie das rare Coupé Figaro, die Sonnenstudios Micra Topic mit elektrischem Faltdach und Micra CC mit klappbarem Hardtop, aber auch 420-PS-Renner, die in den winterlichen Alpen um die eisige Trophee Andros kämpften. Beste Basis für den kleinsten Nissan, um zum ersten Asiaten zu avancieren, der in England in Millionenauflage vom Band lief. Insgesamt sogar rund 2,4 Millionen und damit fast jeden zweiten Micra baute bis zum Jahr 2010 allein das Werk Sunderland. Ganz bieder dagegen der vierte Micra, der als preiswertes Weltauto aus indischer Produktion antrat. Umso charismatischer nun der Gegenentwurf zu diesem Global-Player in Form des nun in Frankreich gebauten Micra No. 5.

Es war 1982, das Jahr, in dem Medien den neuartigen Heimcomputer zur Maschine des Jahres wählten, als auch der Micra seine Karriere begann. Wie ein warmer Frühlingswind sollte der kantige Kompakte mit kräftigen Motoren und fröhlichen Farben damals die Herzen der Kleinwagenfans erobern. Schließlich war es März und der Micra debütierte in Japan unter dem passenden Namen March. Passend dazu präsentierte eine Marketingkampagne den Neuen als frechen und frühlingsbunten Farbklecks in Nippons Großstadtgrau. Zum Miniatur-Muscle Car á la Mini Cooper mutierte der March wenig später mit sequentiell geschaltetem Abgasturbolader und mechanischem Kompressor. 81 kW/110 PS katapultierten den kleinen Giftzwerg in 7,7 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100, das schafften damals nur Supersportler wie der Maserati Merak. Für den March bzw. Micra war dies die Grundlage für eine weltweit erfolgreiche Motorsportkarriere und den Ruf eines Gokarts für die Straße.

Ihrer Zeit viel zu weit voraus, fuhren jedoch unter Strom gesetzte Versuchsträger, die es sogar als elektrisches Cabriolet gab. Eine Lifestyle-Ikone wie der englische Mini wurde der Micra zwar nie, aber es gab streng limitierte Sondermodelle im Retrostil, für die Fans bis heute Fantasiepreise bezahlen. Allen voran der Nissan Figaro im Stil des deutschen 1950er-Jahre-Modells Gutbrod Superior. Ein Micra als Coupé mit Rolldach, um den ein solcher Hype entstand, dass Nissan die 20.000 Figaro im Jahr 1989 per Losverfahren an Kaufinteressenten verteilte. Aber auch der rundliche Be-1 (1985), der puristische Pao (1987) und der an den Citroën 2CV Kastenwagen erinnernde Nissan S-Cargo (1988) waren Kleinwagen, die automobile Sparsamkeit mit Spaß und Stil verbanden.

Als kleiner Typ mit großer Ausstrahlung, knappen Außenmaßen, aber geräumigen Inneren, niedrigem Benzinverbrauch bei hohem Spaßfaktor, vor allem aber einer legendären Unverwüstlichkeit fand schon der erste Micra in Deutschland 200.000 Käufer. Ein Achtungserfolg im Umfeld von Ford Fiesta, VW Polo und Opel Corsa. Nach 24-jähriger Dienstzeit ist statistisch noch immer jeder Dritte dieser Micra im Einsatz. Langzeiteigenschaften, die die 1992 lancierte zweite Generation dann weiterpflegte. Äußerlich allerdings setzte er auf Kuscheltieroptik statt kantige Kiste.

Tatsächlich hatte der Micra-Gesamtverantwortliche Tokuichiro Hosaka bei der Konzeption des K11 einen Hundewelpen vor Augen, wie er später erläuterte. Knuddelig, fröhlich und wieselflink wie ein Jungtier sollte der Neue sein. Mit diesem Welpenblick gewann Micra No. 2 die Herzen der Frauen und jungen Autofahrer, zumal er auch Sicherheits-Innovationen bot. So schützte der im britischen Sunderland gebaute Japaner seine Passagiere als einer der ersten Kleinwagen durch Seitenaufprallschutz, Gurtstraffer, ABS und Airbags. Auch das Zeug zum Effizienzmeister brachte der Zwerg mit, gab es ihn doch nun auch mit Dieselmotor. Insgesamt genügend Qualitäten, um als erstes Auto asiatischer Herkunft in Europa mit dem Medienpreis „Auto des Jahres“ gekürt zu werden. Und das Design wurde durch den „Red Dot“-Designpreis gewürdigt, der damals noch „Roter Punkt“ hieß.

Start frei für Nummer drei, hieß es auf dem Pariser Salon 2002. Eine Champagnertaufe nicht mehr in Tokio, sondern in Paris? Das war zunächst einmal nichts Neues, hatte Nissan doch schon 1957 als erster Nippon-Konzern in Paris Flagge gezeigt. Neu war jedoch die erste echte Weltpremiere eines asiatischen Kleinwagens unter dem Eiffelturm. Eines City-Flitzers, der Vorreiter der heute üblichen individualisierten Ausstattung war und in von Modeschöpfern gestalteten, sogenannten Micramorphoses-Kleidern sogar zum Unikat gedieh. Paris feierte 2003 eine fröhliche Micramorphose-Party auf den Catwalks rund um den Arc de Triomphe. Dagegen leistete die „Sprechen Sie Micra?“-Kampagne mit Kunstwörtern in Anzeigen und im Werbespot des Kultregisseurs David Lynch weitere Anschubhilfe für den Verkauf von 250.000 Micra in kaum 20 Monaten. Die originelle Sprache machte aus dem modernem, aber retro-inspiriertem Micra-Design kurz „modtro“ und „simpelligent“, nannten sich einfache wie clevere Lösungen, etwa das schlüssellose Zugangssystem.

Bis 2010 liefen allein in Sunderland fast eine Million Micra dieser Generation vom Band. Nur in einer Karosserievariante entwickelte sich der Kleine zum tragischen Helden. Ausgerechnet das zeitgeistige viersitzige Coupé-Cabriolet Micra C+C, eine Karmann-Entwicklung, floppte. Zu kurios war die Form des kleinen Sonnenfreunds, da nützt es nichts, dass der C+C als erster Micra in die japanische Heimat exportiert wird.

Lange Transportwege bestimmten auch die Karriere des vierten Micra, der als preiswerter Pragmatiker aus dem indischen Chennai nach Europa kam. Allerdings genügte es nicht, diesen als Weltauto konzipierten Micra mit einem optionalen Kompressormotor zu pimpen, um gegen die stylishe internationale Kleinwagenkonkurrenz zu bestehen. Vielleicht hätte es der Japan vorbehaltene March Nismo mit Spoilern und sportlichem Temperament richten können, so aber blieb der rundliche Fünftürer hinter seinen pfiffigeren Vorgängern.
Entsprechend hoch sind die Erwartungen nun an Micra Nummer 5, der mit mehr Charme und Chic aufwartet und passenderweise im französischen Flins vom Band rollt.

Text: Wolfram Nickel/SP-X
Fotos: Nissan, SP-X

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