Er wusste, wie leicht ein Leben ver-rückt werden kann und folglich die Menschen für ver-rückt erklärt werden. Er wusste auch, was im menschlichen Gehirn wie (nicht) funktioniert, wenn es um diese Ver-Rücktheit geht. Er wusste um die Bedeutung der Freiheit – nicht nur seine beizeiten entdeckte Vorliebe für Motorräder zeugt davon. Ein Standardwerk zur Migräne, die nur Nicht-Betroffene für eine Einbildung halten können und die Betroffene massiv in ihrer Lebensfreiheit einschränkt, ist ihm zu verdanken. Unter anderem!
Über sein eigenes Leben hat der berühmte Neurologe Oliver Sacks erst kurz vor seinem Tod geschrieben. Seine Autobiographie liegt nun als Taschenbuch vor, zum halben Preis der zuerst erschienenen Hardcover-Ausgabe. Es gibt gute Gründe, der damals veröffentlichten Rezension auf www.kues.de aus diesem Anlass eine weitere folgen zu lassen.
Sacks wird weit kommen, wenn er nichtzu weit geht, schrieb ein Lehrer über den kleinen Jungen Oliver. Weit ist er gegangen in seinem Leben, zweifellos. Er hat die Enge Großbritanniens erlebt, als die Zeiten entsprechende waren, er hat später in Kalifornien, in den Sechzigern, aus dem Vollen gelebt. Die ganz unterschiedlichen Erfahrungen sind wohl auch der Schlüssel für seine Erfolge als Mediziner und Medizin-Autor. Eines freilich lässt Leserinnen und Leser sicherlich ratlos zurück – dass er seinem eigenen Gefühlsleben, auch als Lebenspartner, erst recht spät auf die Spur kam und eine Art Eremitendasein aufgab – trotz aller beruflichen Auslastung, trotz aller Umtriebigkeit kann man wohl davon sprechen. Aber auch diese Ratlosigkeit beim Lesen verstärkt den Charme des Buches. Denn – wer hätte ihm, statt freimütig eingestandener Schwächen, schon den Halbgott in Weiß geglaubt?
Oliver Sacks: On The Move. Mein Leben. Rowohlt Taschenbuch Verlag; 12,99 Euro.