Buchtipp – Spitzer: Gelegenheit …

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Der Mann scheut keine Auseinandersetzung, und das Schwimmen gegen den Strom scheint eine seiner bevorzugten Sportarten zu sein: Manfred Spitzer, Psychiater und als solcher Ärztlicher Direktor am Universitätsklinikum in Ulm, schreibt so ganz anders, als man es von einem Halbgott in Weiß erwartet, den man hinter einem promovierten (in Philosophie und Medizin) und habilitierten Hochschullehrer oft genug zu Recht vermutet.

Manfred Spitzer mag's provokant und klar. Für Digitale Demenz (vgl. www.kues.de vom 5. August 2012) hat er nicht nur Spitzenplätze auf den Bestsellerlisten bekommen, sondern auch reichlich Kritik. Oberflächlich und kaum fundiert seien seine Warnungen vor dem Einfluss der digitalen Medien, der sozialen Netzwerke auf Kinder (und Erwachsene). Und mancher Kritiker wollte in dem Buch mehr Selbstverliebtheit des Autors als angemessenen Umgang mit dem Thema sehen.

Naja: Wer allgemeinverständlich über Wissenschaft schreibt, steht unter Wissenschaftlern gut und gerne unter dem Verdacht der Unwissenschaftlichkeit. Das ist nicht neu. Tatsächlich macht man nur durch Verständlichkeit eine Wissenschaft interessant – es sei denn, man ist beruflich ohnehin mit ihr befasst oder der Entschluss, sie zu studieren, steht schon fest.

In seinem neuen Buch macht der Mediziner Spitzer vor allem der Philosophie eine Liebeserklärung. Was hat es mit den Redewendungen auf sich, die wir immer wieder zitieren, ohne deren Hintergrund zu kennen, ja, kennen zu müssen? So ist das titelgebende Gelegenheit macht Liebe eine Abwandlung eines Buchtitels von Gottfried Keller. Der Schriftsteller hatte in Kleider machen Leute aufgezeigt, wie man allein durch ein äußerlich nobles Erscheinungsbild zu Wohlstand kommen kann. Spitzer zeigt auf, wie ganz ähnliche Mechanismen bis heute funktionieren.

Und: Welche Gewohnheiten machen unseren Alltag aus, welche Entwicklungen lassen sich erkennen? Zum Beispiel: Haben Sie schon mal von Helikopter-Eltern gehört oder gelesen? Die ihren Nachwuchs so gar nicht vom Rockzipfel lassen wollen und ihn, einem Helikopter gleich, überbesorgt umkreisen? Für den 1958 geborenen Autor eine offensichtliche Merkwürdigkeit, war er doch nach eigener Aussage nach dem Abitur vor allem daran interessiert, erst mal vom elterlichen Einfluss wegzukommen und selbstständig zu leben – so lästige Pflichten wie Einschreibungsformalitäten an der Uni inklusive.

Über die Notwendigkeit des Denkens macht er sich ebenso Gedanken wie um die Konkurrenz des gedruckten zum elektronischen Buch, die Auswirkungen des Musikhörens auf die Gesundheit, die gesundheitlichen Folgen häufigen Fluchens … es sind ganz verschiedene Themen, die er hier anspricht. Mit seiner klaren Sprache, deutlichen Schlussfolgerungen und seiner Vorliebe für illustrierende Fotos zum Text macht er seinem Ruf als Exot unter den Wissenschaftlern alle Ehre. Allemal lesenswert, und wenn man nicht mit allem einverstanden ist, was er schreibt, dann mag das gut und gerne im Sinne des Autors sein: Ein Buch als Denkanstoß, eine andere Auffassung zu entwickeln.

Manfred Spitzer: Gelegenheit macht Liebe, Kleider machen Leute und der Teufel macht krank. Schattauer Verlag; 24,99 Euro.

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