Da steht sie nun, in Rob und Franks Werkstatt an der Grenze zwischen Kanada und den USA. Zwei Kilometer vorher fing Hudo plötzlich an zu qualmen. Weiß. Zylinderkopfdichtung. Das wusste die gelernte Kraftfahrzeugmechanikerin Heidi Hetzer sofort. Zum Glück hatte sie den Schlagbaum noch nicht überquert.
Sie hat sich nach Emerson/Manitoba schleppen lassen, in dieses klitzekleine verträumte Dorf mit noch nicht einmal 700 Einwohnern. Aber mit einer Eins-A Werkstatt. Sie wollte unbedingt zurück nach Kanada, wo sie hergekommen war.
Die Amis haben alle Schiss davor, mein Auto zu reparieren, lacht Heidi. Ich habe nicht gezählt, wie viele Werkstätten mich weggeschickt haben. Die haben alle Angst davor verklagt zu werden. Bei jeder Reparatur hängt diese Sorge wie ein Damoklesschwert über ihnen.
Die Amerikaner besitzen zwar selbst eine Menge Oldtimer, aber die sind alle blitzeblank sauber geputzt und stehen in Ausstellungen. Nur gucken, nicht anfassen. Und schon mal gar nicht fahren.
Dabei hatte dieser 13. Monat ihrer Weltreise so vielversprechend angefangen: Naja, erst mal mit einer Zwangspause in Las Vegas, aber dann wurde es wieder richtig abenteuerlich, genau nach Heidis Geschmack.
Heidi selbst hat übrigens eine andere Zeitrechnung:
Das am 27. Juli 2014 in Berlin war ja 'nur' der Showdown. Von dort aus bin ich erst einmal direkt wieder nach Rheinsberg zu Timo Gottschalk gefahren, der Hudo den letzten Schliff für die Weltreise gegeben hat. Eigentlich bin ich ja erst am 31. Juli 2014 gestartet …
Wie dem auch sei: Sie ist jetzt – okay, sagen wir ungefähr – 13 Monate unterwegs. Erst nach Norden entlang des Pazifik über Seattle und Victoria Island nach Vancouver. Auf dem letzten Abschnitt dieser Reise benutzte sie die Fähre von Seattle nach Anacortes. Die Fahrt dauerte drei Stunden, und es gab sogar Seniorenrabat – für beide: für Heidi und für Hudo.
Bei der Einreise nach Kanada gab es – man glaubt es kaum – null Probleme. Heidi brauchte für Hudo noch nicht einmal ein Carnet. Dabei hatte der ADAC München sehr rasch reagiert und per Eilboten ein Carnet nach Seattle geschickt. Heidi war so begeistert, dass alles so gut geklappt hat, dass sie sogar vergaß, Geld umzutauschen. Musste sie dann nachholen, allerdings zu einem ungünstigeren Kurs. Aber was soll's. Es gibt Schlimmeres.
Von Vancouver war sie total begeistert und bedauerte, dass sie nicht länger bleiben konnte. Sie fuhr weiter nach Westen Richtung Calgary. Während es nahe der Ostküste ganz schön warm, um nicht zu sagen heiß war, erwartete sie Calgary mit Regen und Kälte. Übrigens durchfuhr sie in Kanada ziemlich viele Orte mit wohlklingenden und wohlbekannten Namen: Es gibt sogar hier in Kanada eine Stadt namens Seattle. Oder Hinweisschilder nach Bruxelles oder Holland. Da wurde Heidi dann doch ziemlich stutzig: Altona, Walhalla, Reinland, Langenfeld. War sie überhaupt noch auf dem richtigen Kontinent?
Eigentlich hat sie ja schon viel mehr gesehen als ihr großes Vorbild Cläronore Stinnes, aber der Vergleich hinkt. Damals waren die Straßen sehr schlecht. Wirklich sehr. Heute sind es die politischen Zustände. Heidi macht sich schon Sorgen wegen Mexiko, Honduras, Guatemala und Panama. Man hört so viele Warnungen an die Touristen. Sei's drum. Darum macht sie sich Sorgen, wenn es soweit ist. Sie wird ihre selbst ausgesuchte Route ändern müssen, aber jetzt genießt sie erst einmal das Land, in dem sie gerade ist.
Heidi wird überall, wo auch immer sie auftaucht, sehr herzlich begrüßt. Und sie trifft auf der ganzen Welt Bekannte, seien es Urlauber, Weltenbummler, Auswanderer oder Rallye-Bekanntschaften. Heute wie damals saugt sie alles in sich auf, will immer (noch) alles wissen und so viel wie möglich erleben. Aber ruhiger ist sie geworden. Naja, ein kleines bisschen.
Mit der Zeit sieht man nachts nicht mehr so gut und wird schneller müde, sagt sie und nimmt eventuell auftretenden Stress schnell selbst raus.
Es gibt so viele nette Bekanntschaften am Rande, wie zum Beispiel dieser polnische Lkw-Fahrer, der auf irgendeinem Highway in Kanada rechts angehalten hatte, um sie zu fotografieren und mit ihr zu plaudern. Er gab ihr sogar Geld für die nächste Tankfüllung. Wahrscheinlich das erste polnisch-deutsche Sponsoring überhaupt.
In Deutschland lässt Heidi weiterhin nach Co-Piloten für Südamerika suchen. Sie hat auch schon sehr viele Bewerbungen bekommen, aber sie kann zum Beispiel für junge Mädchen keine Verantwortung übernehmen. Am liebsten wäre ihr ein Mönch. Ein Gotteskrieger an der Seite einer alten Frau, das wär's doch. Das muss doch Respekt einflössen.
Obwohl: Bisher hatte sie damit keine Probleme. Alle Menschen sind ihr mit Respekt und großer Hilfsbereitschaft entgegengekommen. Scott und Jannette zum Beispiel, die an Heidis Route einen Campingplatz betreiben, auf dem sie kostenlos übernachten durfte. Oder Hazel, die Fremdenführerin, die zwei kanadische Flaggen an Hudo postiert hat.
Von ihrem virtuellen kanadischen Guide hat Heidi sich schon verabschiedet. Svend Anderson hatte sie per E-Mail und Telefon durch Kanada gelotst. Während Heidi fuhr, hat Svend Tipps fürs Essen und Übernachten herausgesucht. Betreutes Fahren sozusagen.
Im Moment sitzt Heidi in Emerson fest, dreht Däumchen und wartet auf die bestellten Zylinderkopfdichtungen aus Massachusetts. Wer weiß, wie lange sie hier Zwangsaufenthalt hat. Vielleicht braucht sie den Guide ja doch noch mal.
Text: Jutta Sein
Fotos: Heidi Hetzer