Schluss mit langweiligen und mager motorisierten Massenmodellen! Die modebewussten Swinging Sixties erreichten vor 50 Jahren die Autowelt, Schlagzeilen machten nun vor allem leichtgewichtige und flache Formen sowie starke Motoren. Für Sportwagenfans waren es himmlische Zeiten, die so nie wieder kommen sollten. Über 300 Typen aus Europa, Amerika und Asien boten dicken wie dünnen Brieftaschen eine Auswahl, die kaum noch jemand überblicken konnte. Von englischen Kitcars wie dem Diva GT, der als Bausatz geliefert wurde, über französische Mittelmotor-Flundern à la Matra Djet mit Fiberglaskarosserien, italienischen Zwölfzylindern von Ferrari oder Lamborghini, amerikanischen Musclecars wie dem neuen Ford GT 40, schwedischen Stars wie dem Volvo 1800 S bis hin zu deutschen Ikonen wie dem neuen Porsche 911 Targa, nichts war mehr unmöglich. Sogar Toyota schickte jetzt erste scharfe Samurai-Schwerter wie den 2000 GT ins Kampfgetümmel um die Pole Position.
Auch wer sich einfach nur differenzieren wollte von seinem Nachbarn mit konventionellem Opel Diplomat oder Fiat 850 vor der Tür, konnte nun eine Coupé- oder Spiderkarosserie ordern. Die ganze Autowelt befand sich in einem Temporausch, beflügelt vom Ausbau des weltweiten Autobahnnetzes und dem Glauben an einen scheinbar endlosen wirtschaftlichen Aufschwung. Mit letzterem war es wenig später in Deutschland vorbei, leider ebenso mit vielen der rund 70 Sportwagenmarken, die noch auf den Autosalons des Jahres 1965 für Glanz und Glamour gesorgt hatten.
Tatsächlich blieben nicht wenige Tempobolzer und Technologieträger, aber auch manche Turiner Designjuwelen einem ausgewählten Publikum vorbehalten, das die Sportler anfangs teils sogar nur auf Messen und Renntrecken bewundern konnte. Etwa den furios fauchenden Ford GT 40, der seinen Probegalopp auf dem Nürburgring absolvierte, um in den Folgejahren mit V8-Power die verhassten Ferrari in Le Mans vernichtend zu schlagen. Ein Kleinserien-Racer, der ebenso die begehrte Straßenzulassung erhielt wie der 270 km/h schnelle Maserati 5000 GT, für den 70.400 Mark gefordert wurden. Ein Preis, für den es die 313 kW/425 PS starke und 280 km/h schnellen AC Cobra 427 gleich im Doppelpack gab. Oder aber einen der raren und ebenso schnellen italienischen Bizzarini Berlinetta 5300 Strada, der mit amerikanischer Corvette-Power die V12-Ferrari von der linken Spur verscheuchte. Ein Talent, das der begnadete Ingenieur Giotto Bizzarini auch allen von ihm konstruierten Iso Rivolta Sportwagen mitgegeben hatte. „Schnell, schneller, Rivolta“, jubelten enthusiastische Medien über die eleganten Iso GT aus Bresso bei Mailand. Die Steigerung folgte durch den Iso Grifo, bot er doch in der Version 7 Litri Fahrleistungen so noch nicht gekannter Art. 300 km/h mit langer Hinterachsübersetzung versprach das Werk für den 294 kW/400 PS leistenden Racer – und wurde durch deutsche Fachjournalisten bestätigt. Das war Superlativ, dem auch ein Ferrari Superfast oder der 1965 zunächst als Chassis vorgestellte Lamborghini Miura nichts entgegen setzen konnten.
Tatsächlich war gegen amerikanische Muskel-Kraft vor 50 Jahren kein Kraut gewachsen. Die standfesten hubraumgewaltigen Großserienaggregate beflügelten nicht nur Gewächse wie Corvette, Ford Mustang, Pontiac GTO oder den exzentrischen Excalibur im Retrolook, sondern auch Italiener, Engländer (ab 1966 auch den Jensen FF mit Allradantrieb) und den deutschen Opel Diplomat, vom Karossier Baur zum schnellen Hardtop-Coupé transformiert. 206 km/h Vmax erreichte damals kein anderes Luxuscoupé und abgesehen vom Maserati Quattroporte auch keine Limousine. Selbst der sportlichste Mercedes, der 230 SL, konnte da nicht mithalten. Gar nicht zu reden vom neuen Glas 2600 V8 Coupé, das den Untergang des einst erfolgreichen Goggomobil-Bauers beschleunigte. Für verblüffte Gesichter sorgte noch ein weiterer Design-Meilenstein aus Rüsselsheim, der auf der IAA 1965 debütierte: Der Opel GT Experimental kündigte das spätere GT-Serienmodell an und stellte sogar den mit 66 kW/90 PS ebenso starken Porsche 912 in den Schatten. Allerdings hatte Porsche noch einen schärferen frischen Pfeil im Köcher, der überdies ein gänzlich neues Cabriolet-Segment kreierte: Der 911 Targa kombinierte luftiges Fahrvergnügen mit einem Überrollbügel, das „Sicherheits-Cabriolet“ war geboren.
Zur süßesten Versuchung seit es Kleinwagen gibt, wurden dagegen die von italienischen Karossiers komponierten Coupéableger erschwinglicher Volksfahrzeuge. Sei es der bezaubernde Autobianchi Stellina mit GFK-Karosserie auf Basis des Fiat 600, die eigenwilligen Innocenti Spider, die teuflisch schnellen Kraftzwerge von Abarth, die eleganten Moretti Coupés und Spider oder das neue bezahlbare Traumpaar aus Fiat 850 Coupé und 850 Spider.
Eine Klasse darüber demonstrierten geniale Formenkünstler aus allen namhaften italienischen Ateliers schnelle Meisterwerke der Mittelklasse: Alfa etwa ergänzte seine bereits sieben sportlichen Modellreihen um das Cabriolet Giulia GTC, gefertigt bei Touring. Das elegante Asa 1000 Coupé setzte mit einer Literleistung von 76 kW/104 PS einen vorläufigen Leistungszenit für Vierzylindermotoren während Supersportwagenbauer De Tomaso mit dem 1,5-Liter-Modell Vallelunga seine erste Fingerübung für die kommenden Mangusta und Pantera ablieferte. Sollte die Marke Lancia sterben, werden es Autos wie das unvergänglich schöne Fulvia Coupé von 1965 sein, die den Autobauer mit Feingefühl für große Formen bei Enthusiasten in ewiger Erinnerung halten. Zwölf Jahre lang verkörperte dieser von Pietro Castagnero gezeichnete Fulvia alles, was Lancia ausmachte: Ästhetik, Sportlichkeit, Modernität und fast unzählige Siege im Motorsport.
Letzteres gelang auch einem Kunststoff-Coupé aus dem französischen Dieppe, der Alpine A110 (1962) mit Antriebstechnik aus der Heckmotorlimousine Renault 8. Zur richtigen Großserie brachten es die A110 zwar nie – insgesamt entstanden bis 1977 nicht mehr als 7.500 Einheiten. Dafür wurde die Alpine A110 bereits zu Lebzeiten Legende. Dieser Ruhm war dem Honda S 600 nicht vergönnt, dabei kam der Roadster doch als erster Japaner offiziell nach Deutschland.
Die schrägen Unbekannten und schnellen Charakterdarsteller im Konzert der Sportwagen kamen damals aus England. Nicht weniger als 20 Marken zelebrierten damals britische Sportwagenbaukunst, von Manufakturen wie Elva, Fairthorpe oder Morgan über Volumenproduzenten wie MG, Sunbeam und Triumph bis hin zu den Kings of Speed wie Aston Martin DB und Jaguar E-Type. Ausgerechnet Großbritannien, selbsternannte Wiege von Roadstern und rassigen Racern, demonstrierte damals eindrucksvoll, dass sich Sportwagenbauer auch durch rigorose Speedlimits nicht ausbremsen lassen: Ab 1965 galt auf britischen Motorways probeweise Tempo 112 (70 mph). Als aus dem Versuch zwei Jahre später ein Dauerlimit wurde, war die Zahl englischer Sportwagenbauer nicht geschrumpft, sondern im Gegenteil noch größer geworden.
Text: Spot Press Services/Wolfram Nickel
Fotos: Hersteller/SP-X