75 Jahre Kunststoff-Karosserie

Beitragsbild
Foto 1
Foto 2
Foto 3
Foto 4

Sie zählen zu den umlagerten Superstars aller Autoshows: Egal ob die Corvette von 1953, Lotus Elite (1957), McLaren F1 (1993), Porsche Carrera GT (2003) oder BMW i8 (2014), exklusive Coupés und Cabriolets treiben die Entwicklung neuer Kunststoffe, Karbon- und Verbundmaterialien für Karosserie und Fahrwerk rascher voran als biedere Limousinen. Denn oft genug lassen sich gerade kleine Serien durch den Einsatz von Kunststoffen kostengünstiger realisieren. Aber auch alle CO2-Knauserer kommen ohne die Hilfe leichtgewichtiger Kunststoffe nicht mehr aus. Schließlich fordern heute sogar Unfallforscher Bauteile aus dem Chemielabor, weil diese nicht selten höheren Insassenschutz bieten als Stahl. Eine Entwicklung, die 1939 ihren Anfang genommen hat – ausgerechnet zu einer Zeit als sich die Ganzstahlkarosserie gerade erst durchsetzte und die bis dahin dominierenden Holzkonstruktionen allmählich ablöste. Nun aber schien alles ganz anders zu kommen, waren doch chemische Werkstoffe wie Phenol und Polyester plötzlich auf dem Vormarsch.

So produzierten die Zwickauer-DKW-Werke 1938/39 Karosserien aus zusammenhängenden Papierbahnen, die mit Phenolharzen durchsetzt waren und unter Hitze und hohem Druck verdichtet wurden. Die damit eingekleideten DKW-Limousinen vom Typ F7 beeindruckten in Crashtests durch höhere Verwindungssteifigkeit und geringere Verformungen als Fahrzeuge mit Metallkarosserien. Die Serienfertigung verhinderte nur der Zweite Weltkrieg, ein Schicksal, das auch die zweite sensationelle Kunststoffkonstruktion ereilte. Automobilmagnat Henry Ford präsentierte 1941 ein Plastikfahrzeug mit einer hochfesten Karosserie aus nachwachsenden Rohstoffen. Dieses sogenannte Soybean Car mit Kunststoffteilen aus einem Sojabohnen-Phenyl-Mix brachte 50 Prozent weniger Leergewicht auf die Waage als eine konventionelle Limousine und erzielte entsprechend niedrige Verbrauchswerte. Aber nach dem Kriegseintritt der USA konnte auch Ford Fertigungspläne nicht realisieren.

Dadurch gelang ausgerechnet General Motors, Fords härtestem Rivalen, die Pionierleistung, mit der Corvette ein Plastikauto in Serienproduktion gehen zu lassen. Als die Corvette im Januar 1953 Weltpremiere feierte, wurde der bis dahin sportlichste Chevrolet aller Zeiten vom Publikum bejubelt. Endlich hatte Amerika einen eigenen Sportwagen, noch dazu mit der Weltneuheit einer aufregend geformten Fiberglas-Karosserie. Allerdings sollte die Kunststoffkarosserie einer der Auslöser dafür werden, dass aus dem Traumwagen zunächst ein Alptraum wurde, zu aufwändig und langwierig gestaltete sich noch die Produktion des glasfaserverstärkten Kunstharzes.

Am 30. Juni 1953 liefen in Flint, Michigan, die Corvette-Bänder an. Bis zum Ende des Jahres wurden es aber nur 314 Autos, so problematisch gestaltete sich die Fertigung. Die zweite Hiobsbotschaft für Chevrolet war der katastrophal schlechte Bestelleingang für den nur 112 kW/152 PS starken Sportwagen, dem es am standesgemäßen Achtzylinder fehlte. So konnte Chevrolet im ersten Jahr nicht einmal die Hälfte der Produktion verkaufen. Das Aus für Amerikas Sportwagenhoffnung drohte 1955: Knapp 700 Corvette verließen die neuen Produktionsanlagen in St. Louis, Missouri und dies vielleicht auch nur noch, um Flagge zu zeigen, als Ford seinen ersten zweisitzigen Sportwagen, den Thunderbird, erfolgreich ins Rennen schickte. Innerhalb von zehn Tagen konnte Ford 3.500 Einheiten von diesem Leistungsträger absetzen, überwiegend mit 156 kW/212 PS starkem V8 und überdies mit formschönem Hardtop aus futuristisch wirkenden Verbundmaterialien.

Die Rettung für die Corvette brachte ein neuer Chefingenieur: Zora Arkus-Duntov, ein früherer Rennfahrer, demonstrierte den GM-Verantwortlichen was dem Fiberglasauto fehlte. Mit einem 145 kW/197 PS freisetzendem V8-Triebwerk beschleunigte Duntov die Corvette in Daytona auf eine Vmax von 150 Meilen (241 km/h) und legte damit die Basis für einen erfolgreichen Relaunch des Racers. Konträr dazu verlief das Schicksal des Volvo Sport P 1900. Der Schwede schrieb 1954 Geschichte als erster europäischer Roadster mit Fiberglas-Karosserie. Zugeliefert wurde die Leichtbau-Technik vom amerikanischen Spezialisten Glasspar. Allerdings war Fiberglas auch für Volvo zu kostspielig und wurde in zu kurzer Zeit entwickelt. Zumal Konkurrent Saab seinen Sportwagen Sonett gründlich vorbereitete. Die Folge der übereilten Volvo-Entwicklung waren massive Qualitätsprobleme und deshalb das Aus für den P 1900 nach nur 68 Einheiten. Tatsächlich waren es bis Ende der 1950er Jahre vor allem Concepts und Kleinstmobile, die mit Fiberglas Furore machten. Andererseits gab es aber auch atemberaubend gezeichnete Sportler wie den DKW Monza, der in Monza fünf Temporekorde aufstellte, die französischen Alpine als Porsche-Rivalen oder den Lotus Elise, der als erster über ein Fiberglas-Monocoque verfügte.

Als echtes Massenmodell startete 1958 der Trabant P50. Bereits dieser Vorfahre des legendären DDR-Volksautos Trabant 601 (1964 bis 1990) verfügte über eine Karosserie, die mit Duroplast verkleidet war. Dazu wurden Baumwollfasern zu Vliesmatten verdichtet und mit Phenolharz gemischt. Anschließend wurden die Matten in Heißpressen geformt und montiert. Dagegen waren bei den sogenannten „Leukoplastbombern“, Lloyd-Kleinwagen aus dem Borgward-Konzern, ab 1950 lediglich die Sperrholzkarosserien mit Kunstleder überzogen worden. Andererseits demonstrierten im Jahr 1963 Design-Meilensteine wie der amerikanische Studebaker Avanti mit einer Karosserie aus Komposit-Materialien und der Porsche 904 GTS als straßentauglicher Rennwagen, welche automobilen Kunstwerke aus innovativem Kunststoff kreiert werden können.

Abgesehen von der Corvette waren es in der westlichen Welt anfangs jedoch vor allem spaßige Strandautos, die mit Kunststoffkarosserien Stückzahlen im sechsstelligen Bereich erreichten. So etwa der 1968 lancierte Citroën Méhari, dem dann die Renault-Rodeo-Familie Konkurrenz machte. Überhaupt waren es besonders Franzosen, Engländer und Amerikaner, die Plastikautos favorisierten. Dies mit Fiberglas oder dem ab 1968 verbauten Verbundwerkstoff Sheet Molding Composite (SMC), einer Zusammensetzung aus Fiberglas und dem Gießharz Resin. Während Chrysler und Pontiac Ende der 1960er Jahre mit SMC-Komponenten Aufsehen erregten, folgten in den 1970er Jahren ganze Geschwader von Matra- oder Lotus-Sportwagen und sogar Ferrari mit dem 308 GTB.

Im Jahr 1984 gab es dann gleich zwei neue Meilensteine zu feiern: Der Sportler Pontiac Fiero ging als erstes Fahrzeug mit einer Karosserie aus Komposit-Materialien in Großserie und der Renault Espace startete als erste europäische Großraumlimousine. Dies mit einer gänzlich neuen Karosseriekonstruktion: Dabei wurde eine tragende Struktur aus feuerverzinktem Stahl mit Kunststoffpaneelen verkleidet. Neun Jahre später wurde dann erstmals Recycling-SMC eingesetzt, dies im Interieur von Corvette und Chrysler Ram Van. Auch die neuen Bauteile Karbon und Titan wurden bei der Corvette (Generation C5, ab 1997) frühzeitig in größerem Umfang verwendet. Dagegen versuchte dasSmart City Coupé ab 1998 Mode zu machen mit austauschbaren Body Panels aus zeitgeistig bunten Kunststoffen.

Erstes Serienfahrzeug mit Monocoque und Aggregateträger vollständig aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff (CFK) war ab 2003 der Supersportwagen Porsche Carrera GT. Längst sind Kunststoffe als Komponenten unterschiedlicher Art unverzichtbar, um Fahrzeuggewichte und damit Verbrauchswerte zu reduzieren, aber auch dank ihres Potentials für die passive Fahrzeugsicherheit. Hier erreichen sie teils bereits bessere Resultate als hochfeste Stähle. Wo die Reise hingehen könnte, zeigt aktuell etwa der Plug-in-Hybrid Volkswagen XL1 mit CFK für Karosserie und Chassis und einem Verbrauch von 0,9 Litern auf 100 Kilometer.

Text: Spot Press Services/Wolfram Nickel
Fotos: BMW, Chevrolet, Ford, Renault/SP-X

Scroll to Top