Pagani und der „PS-Protz“

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Es ist kaum mehr als handgroß, nicht sonderlich detailliert und mittlerweile ziemlich abgestoßen. Doch dieses kleine Holzmodell in der Vitrine spricht Bände. Denn es hat mittlerweile ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel und beweist, dass Horazio Pagani schon als Kind nichts lieber wollte, als einen Sportwagen zu bauen. Mittlerweile ist der Argentinier in den Fünfzigern Jahre alt, hat im beschaulichen San Cesario sul Panaro seine eigene Firma im magischen Dreieck zwischen Ferrari, Lamborghini und Maserati und lanciert schon sein zweites Auto. Nach exakt 131 Zonda in etwas mehr als zehn Jahren ist jetzt der Huayra startklar. War sein Erstling nur etwas für reiche Raser mit einer Affinität zur Rennstrecke, soll der Nachfolger die Bugattis dieser Welt auch auf den Boulevards in den Schatten stellen. Denn kein anderer Sportwagen ist bei Design, Technik und Fahrleistungen spektakulärer als der italienische Zungenbrecher, der seinen Namen vom Gott des Windes aus dem Sagenreich der Inka hat.

Schon beim Design geht Pagani mit dem Nachfolger des Zonda ganz eigene Wege: Wo die Konkurrenz auf mächtige Spoiler setzt, sind beim 4,61 Meter langen und 1,17 Meter flachen Huayra die beiden großen Flügeltüren das einzige, was sich in den Wind reckt. Ansonsten reicht das ausgefeilte Profil der Flunder völlig aus, um genügend Abtrieb für Spitzengeschwindigkeiten zu erzeugen, bei denen Verkehrsflieger längst abheben – nicht umsonst haben sich die Designer für die Silhouette einen umgedrehten Flugzeugflügel zum Vorbild genommen. Wie bei einem Düsenjäger gibt es allerdings auch beim Huayra auf jeder Ecke sogenannte Flaps: Groß wie ein DIN A-4-Blatt und elektronisch gesteuert, können diese beweglichen Klappen den Luftstrom im Ernstfall so leiten, dass der Wagen besser bremst und nicht doch vorzeitig abhebt.

Zwar haben die Italiener das komplette Auto selbst entwickelt und sich dafür ganze fünf Jahre Zeit gelassen, mehrere Millionen Testkilometer absolviert und einen ihrer Prototypen mit dem Projektcode C9 sogar auf einer deutschen Autobahn einem unfreiwilligen Crashtest unterzogen. Doch das wichtigste Bauteil kaufen sie zu: den Motor.

Der kommt von Mercedes-Ableger AMG. Wo die schnellen Schwaben sonst sehr eigen sind mit ihren Motoren und sie nie an externe Unternehmen verkaufen, legen sie für Pagani bereitwillig Hand an den sechs Liter großen Zwölfzylinder, der sonst SL65 und neuerdings den G65 befeuert. Schließlich hat kein geringerer als Paganis Ziehvater und Mercedes-Werksfahrer Juan Manuel Fangio den Deal eingefädelt. Und selbst nach Fangios Tod hat man in Affalterbach nur lobende Worte für den Argentinier in Italien: „Horazio ist ein Künstler mit einer großen Vision“, sagt AMG-Chef Ola Källenius: „Wir sind stolz, dass wir ihn unterstützen können.“ Ganz nebenbei hat Mercedes so zumindest entfernt auch jenen Supersportwagen im Portfolio, der den Schwaben oberhalb des SLS noch fehlt. Wo reiche VW-Kunden zum Bugatti greifen und sich die begüterten Schnellfahrer dieser Welt auf einen Nachfolger des Ferrari Enzo freuen, kann Källenius seiner Kundschaft einen SL 65 AMG verkaufen und sie damit guten Gewissens auf eine weitere Shoppingtour nach San Cesario schicken.

Hat der Motor im SL fast noch bescheidene 630 PS, kommt er bei Pagani gründlich umgearbeitet und mit einem Ornat aus Gold und Karbon verziert auf 730 PS und die bekannten 1.000 Nm, mit denen die luftige Gottheit tatsächlich zum wilden Wirbelwind wird: über 360 km/h sollten reichen, um selbst dem stärksten Sturm davon zu fahren. Doch es ist weniger das hohe Tempo, das einen im Huayra gefangen nimmt. Es sind der ohrenbetäubende Sound und der gewaltige Schub beim Beschleunigen, wenn der Huayra faucht wie einen Furie und in 3,3 Sekunden auf Tempo 100 schnellt, als bräuchte es nicht mehr als ein Fingerschnippen. So muss sich ein Kampfpilot fühlen, wenn ihn das Katapult vom Flugzeugträger schießt.

Dabei hat der Motor buchstäblich leichtes Spiel. Denn obwohl das Cockpit des Huayra mit Lack und Leder und viel blankem Metall innen glänzt und funkelt wie ein Bentley fürs Rotlichtviertel, muss jedes PS nur 1,9 Kilo schleppen. So bringt er gerade mal 1.350 Kilo auf die Waage und ist damit vier bis sechs Zentner leichter als der Ferrari F12 oder der Lamborghini Aventador. Nicht umsonst ist die Karosse komplett aus Karbon und Titan gefertigt.

Extreme Technik, ein exquisites Interieur und exklusive Stückzahlen – das treibt natürlich den Preis in die Höhe. 892.000 Euro plus Steuern verlangt Pagani für den Huayra – und kann sich vor Bestellungen trotzdem kaum retten. „Die ersten 100 Autos jedenfalls haben wir schon in den Orderbüchern“, sagt Pressesprecher Luca Venturi und schätzt, dass es diesmal nur rund zwei Jahre dauern wird, bis dieser Auftragsstau abgearbeitet ist. Denn während der Zonda im aktuellen Stammwerk noch vier Monate bis zur Fertigstellung brauchte, entsteht auf der anderen Straßenseite für den Huayra gerade eine neue Fabrik, in der trotz unveränderter Handarbeit die Produktionszeit halbiert und der Ausstoß verdoppelt werden sollen.

Zum ersten Mal wollen die Italiener dann auch auf der ganzen Welt verkaufen und nicht wie bisher ausgerechnet den Supersportwagen-Markt Amerika aussparen. Dort komme der Huayra jetzt schon genauso gut an wie in Hong Kong, China und weiten Teilen Europas, sagt Venturi. Allein beim Debüt in Pebble Beach haben die Italiener an einem Wochenende zehn Autos verkauft. Nur ausgerechnet daheim in Italien scheint sich keiner für den neuen Tiefflieger aus San Cesario zu interessieren. Nicht weil die Italiener ein Problem mit der argentinischen Abstammung des Herstellers hätten. Denn immerhin ist der Lokalpatriotismus so groß, dass sogar die Carabinieri salutieren, wenn ein Huayra durch die Emilia Romagna fährt. Und es liegt auch nicht daran, dass den Italienern das Geld ausgegangen wäre, sagt Venturi. „Doch leider traut sich keiner mehr, seinen Reichtum auch auf der Straße zu zeigen“, klagt der Firmensprecher. „Denn jeder hat Angst vor der Neugier des Finanzamtes.“

Text: Spot Press Services/Benjamin Bessinger
Fotos: Pagani

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