Chevrolet: 50 Jahre „Stachelrochen“

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Um 1960 schien den technikgläubigen Amerikanern fast alles zu gelingen. Die ersten Boeing-Passagierjets flogen nonstop über den Nordatlantik, Präsident Kennedy gab den Startschuss für das Rennen zum Mond und Detroit lancierte jedes Jahr stärkere Straßenkreuzer, deren mächtige V8 sogar die Luxusklasse aus der Alten Welt beflügelte. Was jetzt noch fehlte, war ein junger amerikanischer Siegertyp, der die europäischen Supersportwagen auf Straße und Strecke niederrang. Eine Aufgabe, der das Mitte der 1950er Jahre eingeführte rivalisierende Duo aus Ford Thunderbird und Chevrolet Corvette nicht gewachsen schien. Beide Modelle waren kaum mehr als milde Boulevardcruiser.

Daran änderten auch leistungsstarke V8-Kraftwerke wenig, die GM-Chefingenieur Zora Arkus-Duntov in die Corvette implantierte. Zum Jäger von Jaguar & Co. mutierte die Kunststoff-Flunder von Chevrolet erst durch den 1958 inthronisierten GM-Designchef Bill Mitchell. Mitchell verpasste der bis dahin harmlosen Corvette die Namen und Optik gefürchteter Meeresbewohner, zunächst mit den Showcars Sting Ray (Stachelrochen) und Mako Shark (Mako Hai). Zwei spektakuläre Concepts in aggressivem Biodesign, das wenig später den Weg in die Großserie fand. Vor genau 50 Jahre debütierte die zweite Generation der Corvette mit dem Namenszusatz Sting Ray in den Karosserievarianten Coupé und Convertible. Für viele Fans ist der damals vorgestellte Serien-Sting Ray bis heute die ultimative Corvette, besonders als Coupé mit geteiltem Rückfenster.

Erstmals stürmten Sportwagenfahrer jetzt die Showrooms der Chevrolet-Händler, denn im Zeichen des Stachelrochens zeigte die zweite Corvette-Generation bei Beschleunigungsrennen sogar europäischen Superstars von Jaguar, Maserati oder Porsche ihr giftiges Hinterteil. Fast schon spektakulär waren die Leistungswerte des bereits im ersten Jahr in über 21.000 Einheiten verkauften Sting Ray. Offiziell setzten die bis zu 7,0-Liter großen V8 maximal 331 kW/450 PS frei, inoffiziell sollen aber bis zu 441 kW/600 PS möglich gewesen sein. Ein Wert, den die zweite Corvette-Generation spätestens ganz am Ende ihrer Karriere durch einen Geschwindigkeitsrekord in Le Mans glaubhaft machte. 276 km/h maßen die Zeitnehmer beim französischen Langstreckenklassiker im Juni 1967, eine stolze Vorgabe für die nur einen Monat später vorgestellte dritte Corvette-Generation, jetzt in zeitgeistigem Coke-Bottle-Design. Ganz andere Spuren hinterließ die intern C2 genannte Corvette Sting Ray in Europa. Hier initiierten ihre unwiderstehlich scharfen Formen die Entwicklung des Opel GT, der 1965 als Concept gezeigt wurde und drei Jahre später in Serie ging.

Zurück ins Jahr 1958. Als Vizepräsident und Designchef von GM war Bill Mitchell gerade zu einem der mächtigsten Männer der Automobilindustrie aufgestiegen. Sein Herz gehörte dem Hochseefischen – und schnellen Sportwagen. Der Mann, der von sich selbst behauptete, Benzin im Blut zu haben, baute in seiner Freizeit Racer, die am Wochenende auf Rennstrecken nach Pokalen jagten und werktags als schnelle Dienstwagen für Aufsehen auf dem Direktionsparkplatz sorgten. „Lasst die Autos aussehen, als könnten sie einem etwas antun“, forderte Mitchell von Larry Shinoda und den anderen Entwicklern der zweiten Corvette-Generation. So wurde der schnelle Stachelrochen Namensgeber und Designvorbild für die Corvette C2.

Als auf dem Genfer Salon 1961 der Jaguar E-Type debütierte und von der Weltpresse geradezu glorifiziert wurde, legte Mitchell nach. In nur drei Monaten bauten seine Konstrukteure ein furchterregendes Concept Car, das als Mako Shark beim Motorsportfestival von Elkhart Lake debütierte und im April 1962 bei der New York Motor Show sogar die neue AC Cobra verblassen ließ. Die Trophäe eines Mako Hais von einem Angelausflug zu den Bahamas hatte Mitchell zum Bau des Prototypen angeregt, der das Publikum spekulieren ließ, wie sehr die Serien-Corvette dem bestialisch geformten Mako Shark mit Big-Block-V8 ähneln würde. Genug, um der Konkurrenz Angst zu machen, zeigte sich bereits im Sommer 1962.

Schon optisch präsentierte sich die neue Corvette Sting Ray als schnellster Sportler des Modelljahrgangs 1963. Coupé und Convertible kennzeichneten aufregende Drehscheinwerfer, die später als Variation auch beim Opel GT zu finden waren und anschließend als Klappscheinwerfer über Jahrzehnte ein Markenzeichen der Corvette waren. Noch wichtiger waren die muskulösen, leicht geschwungenen Linien, die wie bei den Räubern der Meere von großer Angriffslust kündeten und beim Coupé ein fast endlos langer Rücken mit sogenanntem „Split-Window“. Ein moderner Leiterrahmen mit fünf massiven Quertraversen ersetzte den weicheren X-Rahmen der Corvette C1 und eine hintere Einzelradaufhängung löste die antiquierte Starrachse ab. Nur bei der Bremsanlage sparten die Amerikaner weiterhin, ganz nach der fragwürdigen Devise „Wer bremst verliert“. Statt der in Europa längst üblichen Scheibenbremsen setzte Bill Mitchell weiter auf billige Trommelbremsen, nur gegen Aufpreis gab es etwas standfestere Bremsen mit gesinterten Metallbeschichtungen. Erst 1965 tauchten Scheibenbremsen auf der Ausstattungsliste auf – als weiterhin unpopuläres Extra, gab es doch Trommelbremsen gegen Minderpreis. Ganz im Gegensatz zu immer kräftigeren Motoren, für die nicht nur Motorsportenthusiasten bereitwillig Aufpreise bezahlten.

„Höllisch schnell schon im Stand“ mussten Mitchells Autos sein, dafür sollten beim Sting Ray auch funktionslose Lufteinlässe auf der Motorhaube und der Rücken mit geteiltem Fenster sorgen. Verspielte Designdetails, die Mitchell gegen den Willen seines Chefingenieurs Zora Arkus-Duntov durchsetzte. Als die optischen Gimmicks ein Opfer der 1964 und 1965 durchgeführten Modellpflegemaßnahmen wurden, spendierte der Leistungsfetischist Arkus-Duntov der Corvette zusätzliche Muskeln. Markierten bis dahin 276 kW/375 PS starke Small-Block-V8 die Leistungsspitze waren es nun 313 kW/425 PS aus einem 6,5-Liter-Big-Block-V8, schließlich sogar 316 kW/430 PS bis 412 kW/560 PS aus 7,0-Liter-Hubraum. Keinen Zuspruch erhielt dagegen eine entwickelnde 375-PS-Version mit Benzineinspritzung, die Corvette-Fans bevorzugten weiterhin mächtige Vierfach-Vergaseranlagen. Eine Rarität blieb außerdem die leichtgewichtige Corvette Grand Sport, mit der Arkus-Duntov schon 1962 die überstarken Shelby-Ford in Schach halten wollte. Statt der ursprünglich geplanten Serie von 100 Einheiten entstanden nur fünf Exemplare, die von Fahrerlegenden wie Roger Penske und A.J. Foyt eingesetzt wurden.

Während die Corvette-Kunden in den USA anfangs lange Lieferzeiten in Kauf nehmen mussten, konnten sich in Europa nur wenige Käufer den Sting Ray leisten. Zu stark war der Dollar in den Wechselkursen, zu sehr konzentrierte sich das Corvette-Exportprogramm auf die stärksten und teuersten Versionen. So kostete die Corvette Sting Ray in Deutschland bis 35.000 Mark und damit fast ein Viertel mehr als ein Jaguar E-Type und nahezu doppelt so viel wie ein Porsche 911 T. Was die Corvette schon damals so rar machte wie die heute gesuchten Sting-Ray-Coupés des ersten Jahrgangs.

Text: Spot Press Services/Wolfram Nickel
Fotos: Autodrom Archiv, Chevrolet, SPS

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