Manfred Spitzer: Digitale Demenz. Droemer Verlag; 19,90 Euro.
Digitale Vielfalt ist praktisch. Internet, E-Mail und Smartphone bieten etliche Vorteile. Man erreicht von Deutschland aus einen Empfänger in den USA in einer Minute – statt, wie früher, 10 Tage auf die Ankunft eines Briefes zu warten. Studierende schätzen neben Recherchemöglichkeiten im Internet sicher das problemlose Verändern von Texten, statt, wie noch in den 80er Jahren üblich, eine ganze Seite neu schreiben zu müssen, weil sich mit der mechanischen Schreibmaschine in der vorletzten Zeile zwei Tippfehler einschlichen. Und wer das entsprechende Mobiltelefon hat, kann sich auch unterwegs um zu erledigende Arbeiten kümmern und muss nichts liegen lassen, bis er (oder sie) wieder im Büro ist.
Alle hier aufgezählten Vorteile sind beruflicher Natur, und diese Vorteile wird Manfred Spitzer nicht bestreiten. Nein, sein Buch mit dem provozierenden Titel Digitale Demenz richtet sich gegen die missbräuchliche Nutzung der digitalen Möglichkeiten, bis alle Lebensbereiche jenseits dieser Möglichkeiten empfindlich leiden.
Nun sind solche Vorbehalte nicht neu. Spitzer führt aus, dass unter anderem die Verbreitung des TV als Medium seinerzeit manche Enthusiasten darin ein Mittel zum Transport von Kultur und Bildung in alle Wohnzimmer hinein sahen. Andererseits warnten besorgte Eltern den Nachwuchs vor zu viel Fernsehen oder überwachten den Gebrauch des verlockenden Geräts streng. Und wer schon mal im ICE zu schlafen versuchte, während ein Mitreisender über eine Stunde hinweg lautstark in sein Handy hineintelefonierte, mag sich gefragt haben, ob es da nicht jemand gewaltig übertreibt.
Und genau darum geht es Manfred Spitzer: Er belässt es nicht bei Spekulationen und Ängsten zu übertriebenem Gebrauch digitaler Kommunikation, sondern führt aus, warum das gefährlich ist, bis hin zur konkreten Beschreibung dessen, was sich dann im Gehirn verändert. Es leiden nachweislich Konzentrations- und Merkfähigkeit, beeinträchtigte Aufnahmefähigkeit neuer Informationen ist sehr wahrscheinlich, grundlegende Prämissen des menschlichen Miteinanders, die reale Kommunikation, die Fähigkeit zur Empathie, sieht Spitzer dann in Gefahr. Und so, wie er es darstellt, ist das nachvollziehbar. Da schreibt kein Panikmacher, dem aus unbestimmten Gründen alles Neue erst mal suspekt wäre.
Was ist normal, was ist zu viel? Wenn Spitzer klar darlegt, dass es Heranwachsende gibt, die mehr Zeit im Internet verbringen (siebeneinhalb Stunden täglich) als mit dem Schlafen, dann wird klar, was er meint. Es sind erschreckende Dimensionen, die er aufzeigt, und er greift auf Erfahrungen in der Behandlung mit internetsüchtigen Patienten zurück. Da fällt einem unwillkürlich ein, was Paracelsus über den Umgang mit Genussmitteln schrieb: Allein die Dosis entscheidet darüber, ob es gut ist oder Gift.
Manfred Spitzer schreibt anschaulich und angenehm knapp, verzichtet auf Weitschweifigkeit. Der Hochschullehrer und Inhaber des Lehrstuhls für Psychiatrie an der Universität Ulm macht sich auch keine Illusionen darüber, dass seine Warnung nicht nur Lob, sondern heftige Kritik ernten wird. Umso empfehlenswerter ist es, sein Buch zu lesen.
Abschließend: Wie findet man heraus, ob man selbst schon auf dem Weg zur digitalen Demenz ist? Fast täglich werde er gefragt, schreibt Spitzer, was man denn zum Erhalt der geistigen Fitness tun könne – gerade von Senioren. Unabhängig vom Alter des Fragenden rät er: Alle modernen Errungenschaften des Medienzeitalters ausschalten und erst mal einen Waldspaziergang machen. Am besten in Begleitung. Es sagt ja niemand, dass man die Errungenschaften nie mehr einschalten dürfe.